© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/15 / 09. Oktober 2015

Salsa-Nacht und Tropenbrunch
Staatsfinanzen: Der Steuerzahlerbund beklagt alljährlich erneut die öffentliche Verschwendung / West und Ost innig vereint

Christian Dorn

Bekanntlich macht’s die Mischung – allerdings nur bei „Tropifrutti“ und anderen Produktlinien von Haribo. Im Bereich öffentlicher Aufträge und insbesondere bei sogenannten Mischfinanzierungen führt dies in der Regel zu massivem Verlust von Steuergeld. So steht denn auch das 43. Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler (BdSt) wieder unter dem klassischen Titel „Die öffentliche Verschwendung“.

Der vorige Woche in Berlin vorgestellte Bericht versammelt darin diesmal vor allem Projekte, die ein altes Sprichwort untermauern: „Viele Köche verderben den Brei.“ Bei Mischfinanzierungen – etwa zwischen Bund und Ländern, zwischen Ländern und Kommunen oder zwischen der EU und dem nationalen Bereich – scheint die Verschwendung vorprogrammiert. Nicht selten sind hier alle Ebenen beteiligt.

Mischfinanzierung bringt unnötige Mehrausgaben

Dabei verstoßen diese Finanzierungsformen eigentlich gegen den Geist des Grundgesetzes, der in Artikel 104 die Finanzierung generell „entweder dem Bund oder den Ländern“ zuschreibt, abhängig davon, welche staatliche Ebene zuständig ist. Dadurch sollen Aufgaben- und Ausgabenverantwortung in Einklang gebracht und das Prinzip der Haftung gewahrt werden. Was als Ausnahme gedacht war, ist inzwischen beinahe zur Regelfinanzierung entartet. 

Dabei bergen Mischfinanzierungen „systematische Fehlanreize“: So würden durch eine gespaltene Nutzen-Kosten-Betrachtung oftmals unnötige Mehrausgaben produziert, da „meistens der Nutzen umfassend, aber nur ein Teil der Kosten in das Entscheidungskalkül der ausführenden und mitfinanzierenden Ebene einbezogen“ werde. So müßten Kommunen teilweise nur zehn Prozent Eigenkapital beisteuern, was die Bereitschaft zur Geldausgabe vergrößere.

Zudem ergibt sich aus dieser Praxis eine Priorititätenverzerrung, da die Mittelempfänger „jenen Aufgabenbereichen und Projekten besonderen Vorrang einräumen, bei denen eine Mischfinanzierung möglich ist“. Die führe zu einer Ineffizienz bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben. Zudem befördere dies Doppelstrukturen, die einen vermehrten Bürokratie-Aufwand generieren. Damit einher gingen Kontrolldefizite, was einen besonderen Reiz zu überhöhten Ausgaben bei den Beteiligten zur Folge hat, da die Zuständigkeiten sich verwischen.

Hinzu trete die ungeklärte Haftung. Dieser Umstand wird zusätzlich dadurch erschwert, „daß die Länder – um etwaigen Rückforderungsansprüchen zu entgehen – nur sehr selten eigene Fehler an den Bund melden, und der Bund selbst kein Instrumentarium hat, um Haftungsfälle gezielt aufdecken zu können.“ Ein weiteres Problem bei großen Mischfinanzierungsmaßnahmen – etwa bei verschiedenen Gemeinschaftsaufgaben von der Bundesregierung und den 16 Landesregierungen – ist das sich manifestierende Besitzstandsdenken.

Einmal festgelegte Verteilungsschlüssel lassen sich dann kaum mehr verändern. Außerdem produziere der Tunnelblick weitere Kosten, da die isoliert arbeitenden Fachleute auf den einzelnen Ebenen auf die konkrete Investition oder Maßnahme fixiert seien, nicht aber auf die Folgekosten, die zumeist durch die Mischfinanzierung nicht abgedeckt sind. Da diese auch dem föderalen System widersprächen, entstünden hier demokratische Defizite. Die langjährige Praxis habe schließlich eine Eigendynamik entwickelt. So trotzten Länder dem Bund nach der Förderalismusreform I, die einige Mitfinanzierungen des Bundes abschaffte, sogenannte Entflechtungsmittel als Kompensationsleistungen ab (2,6 Milliarden Euro pro Jahr), die seit 2007 gezahlt werden, unabhängig vom eigentlichen Bedarf der Länder, was eine fortlaufende Fehlverwendung von Steuergeldern vermuten läßt.

Die eklatantesten Fehlinvestitionen zeigen sich – hinsichtlich der Höhe – bei den Bundesfernstraßen, an denen der Bund zwar Eigentümer ist, doch deren Verwaltung den Ländern obliegt. Hier wurden zwischen 2009 und 2014 knapp 90 Prozent bei Bundesautobahnen und -straßen teurer als geplant. Die Kostenexplosion in diesem Bereich – bei insgesamt 241 Neubauprojekten – beläuft sich auf knapp 3,5 Milliarden Euro.

Geradezu absurd mutet auch die „Brückenfinanzierung“ der Stadt Hamm in NRW an. Dort wollte die Kommune durch die Errichtung zweier zusätzlicher Brücken über die Lippe und den Datteln-Hamm-Kanal den Freizeitwert für die Bürger erhöhen, obwohl in der Nähe bereits Brücken existieren. Aufgrund anfallender Neben- und Nachfolgekosten wurden aus den ursprünglich veranschlagten 3,43 Millionen Euro bislang mehr als sechs Millionen Euro Kosten.

„Präventiv-Training“ und Medaillen aus purem Gold

Aufgrund fehlender Genehmigung durch die Wasserstraßenverwaltung sind die Brücken aber bis auf weiteres zwischengelagert. Das Geld zahlen hier zu achtzig Prozent Bund und Land, die Kommune selbst hätte gar nicht das Geld hierfür gehabt und wäre – bei selbständiger Finanzierung – gar nicht auf die Idee gekommen, den Brückenbau in Auftrag zu geben. 

Fragwürdig sind auch die Kosten bei der Bundeswehr, etwa beim Transporthubschrauber NH90, bei dem das Helmsystem bei den Piloten zu starken Rückenproblemen führt, was eine eingeschränkte Flugzeit zur Folge hat. Pro Helikopter kostet der Flughelm mit integriertem Sichtsystem bei je zwei Exemplaren insgesamt 560.000 Euro extra. Statt die Helme zu tauschen, verordnet die Bundeswehr ihren Piloten ein „Präventiv-Training“ zur Stärkung der Nackenmuskulatur mit weiteren Kosten von 400.000 Euro. Kritikwürdig ist aus Sicht des BdSt auch die Kampagne „Frauen in der Bundeswehr“ im Oktober 2014, die auf Werbeplakaten Frauen klischeehaft präsentierte. Aufgrund heftiger Kritik deaktivierte das Ministerium die Internetseite und veränderte die Anzeigen.

Dubios sei auch die Glaubwürdigkeit der Regierungsarbeit in der Großen Koalition, wenn diese ihre eigenen Beschlüsse durch Werbekampagnen glaube legitimieren zu müssen. So warb das Bundesarbeitsministerium mit 1,3 Millionen Euro aufwendig für die Einführung des Mindestlohns, 786.000 Euro flossen allein in Werbeanzeigen in Printmedien, 322.000 Euro in einen Kino-Spot. Zudem förderte das Kanzleramt, genauer: das Haus der Kulturstaatsministerin, eine App zum Sightseeing auf Friedhöfen, die zudem negative Bewertungen erhielt: „nicht funktionell“, „langsam“, „schlecht“, „wenig Inhalt“.

Beispielhaft für den verantwortungslosen Umgang mit Steuergeldern ist indes das CSU-geführte Wunsiedel in Oberfranken, mit 4.428 Euro Pro-Kopf-Verbindlichkeiten die am höchsten verschuldete Stadt Bayerns. Dennoch verlieh sie 2014 fünf Medaillen aus purem Gold (Gesamtkosten: 11.290 Euro), um verdiente Stadträte zu ehren.

Öffentliche Verschwendung, so appellierte BdSt-Präsident Reiner Holznagel bei der Vorstellung des aktuellen Schwarzbuchs, sei „kein Kavaliersdelikt“ und daher genauso wie Steuerhinterziehung zu verfolgen. Daß Mißbrauch und Mißwirtschaft nicht folgenlos bleiben, sei auch dem BdSt zu verdanken. Beispielhaft hierfür steht die Tropenhalle der Biosphäre Potsdam (JF 30/14). Inzwischen sucht die Stadt für das Millionengrab einen Privatinvestor und prüft zudem den Umbau zu einer weiterführenden Schule. „Salsa-Nacht Tropicando“ und „Tropenbrunch“ reichen offenbar nicht zur Kostendeckung. Wer weiß, vielleicht heißt es hier demnächst auch „Refugees welcome“. Schließlich müssen in der Flüchtlingspolitik – für die von Schäuble bislang zugesagten fünf Milliarden Euro – auch Einsparungen in den Haushalten der Kommunen vorgenommen werden.

Das 43. Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler „Die öffentliche Verschwendung 2015“ ist auch als pdf-Datei erhältlich: schwarzbuch.de

Bund der Steuerzahler (Hrsg.): Die öffentliche Verschwendung 2015. Eigenverlag, Berlin 2015, 162 Seiten, broschiert, kostenlos