© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/15 / 09. Oktober 2015

Von Zombifizierung und Zerstörung
Eurokrise: Ökonomen diskutierten bei Open Europe Berlin über Theorie, Praxis und Folgen der derzeitigen EZB-Nullzinspolitik
Cornelius Persdorf

Ich bin froh, in der Österreichischen Botschaft zu sein, um die Österreichische Botschaft zu verbreiten“, sagte Michael Wohlgemuth. Die diplomatische Vertretung Wiens, mit der der Direktor der liberalen Denkfabrik Open Europe Berlin wortspielte, war für ihn auch Chiffre für die „Österreichische Schule“ der Nationalökonomie. Ihre Ideale sind Geldwertstabilität, Vermeidung von Boom-und-Crash-Folgen und eine Minimierung staatlicher Eingriffe.

Diese durch Ludwig von Mises und Friedrich von Hayek geprägte Lehre ist jedoch zum Bedauern der Moderatorin und Ex-FPÖ-Politikerin Barbara Kolm „nicht so sehr in Österreich zu Hause, wie ich mir das wünschen würde“. Für die Podiumsdiskussion unter dem Titel „Folgen der Nullzinspolitik – Praxis und Theorie“ bat die Präsidentin des Wiener Hayek-Intituts die „Panelisten“, ihre Gedanken nach Möglichkeit auch für Nicht-Ökonomen verständlich darzulegen – ein heikles Anliegen für eine ausschließlich aus gestandenen Wirtschaftswissenschaftlern bestehende Diskussionsrunde. 

„Investitionen, die kritisch sind“

Dem früheren Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer, gelang in seinem Impulsreferat die Quadratur des Kreises: In nur einer Viertelstunde beantwortete er mit anschaulichen Graphiken die Frage, wie sich in der Vergangenheit der Zins einflußreicher Zentralbanken entwickelte, welche Akteure Einfluß auf die Zinsen an den Kreditmärkten haben und was aus diesen Entwicklungen folgerte: Ein Leitzins von Null bewirke „Investitionen, die kritisch sind“. Sie flössen aufgrund des im Wortsinne billigen Geldes in sonst unrentable Unternehmen. Das Prinzip der „schöpferischen Zerstörung“, also der Verdrängung wettbewerbsuntauglicher Marktteilnehmer, wird verhindert und an seine Stelle tritt eine „Zombifizierung“, in der der unproduktive Zustand „eingemottet wird“, so Mayer, der Autor des eurokritischen Buches „Europas unvollendete Währung“ (Wiley 2013). Die Folge sei eine lange Phase schwachen und instabilen Wachstums. „Und in dieser Phase sind wird jetzt“, resümierte der Gründungsrektor des Flossbach von Storch Research Institutes. 

Mayers Kernaussagen wurden von keinem der Diskutanten in Frage gestellt. Die Differenzen zeigten sich nicht in der Wahrnehmung, sondern in den unterschiedlichen Wertvorstellungen: Oft unterschieden sie nicht ausdrücklich zwischen ökonomisch erwünschten und rechtlich gebotenen Entwicklungen. Dies wurde deutlich, als Peter Brandner, Referent für das österreichische Finanzministerium, darauf hinwies, daß das Geldwertstabilitätsgebot der Europäischen Zentralbank (EZB) seit Jahren erfüllt werde. Mayers „Zombifizierung“ bestritt er jedoch nicht.

Überhaupt lösten sich die Lagergrenzen zwischen „Institutionalisten“ und „Marktwirtschaftlern“ im Gespräch auf. „Die Grenzen der Wirksamkeit sind bekannt“, kommentiert Ernest Gnan, der Chef der volkswirtschaftlichen Abteilung in der Österreichischen Nationalbank, die Interventionen der EZB mit Verweis auf die geringe Dynamik der Kreditmärkte. Dem Institutionalisten Gnan stimmte Allianz-Chefvolkswirt Michael Heise als Marktwirtschaftler sogar zu: „Die Zinsen spielen keine Rolle“, pflichtete Heise Gnan bei, sondern Faktoren wie die Entwicklungen in China, der Ukraine oder des Ölpreises.

Ein furioses Finale bot Stefan Kooths vom Kieler Institut für Wirtschaftsforschung, indem er auf die Willkür des Zwei-Prozent-Inflationsziels der EZB hinwies: „Zehn Jahre zwei Prozent: Ziel erreicht, Euroraum vor die Wand gefahren!“

Flossbach von Storch Research Institute:  www.fvs-ri.com