© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/15 / 09. Oktober 2015

Pankraz,
M. Onfray und die Diktatur von hinten

Nicht einmal ein Sturm im Wasserglas sollte es sein. Einen „Taifun in der Teetasse“ nannte die Neue Zürcher Zeitung die Affäre Onfray, die zur Zeit in Paris abrollt. Dort hatte der Philosoph und erklärte Hedonist und Epikureer Michel Onfray (56) dem Figaro ein Interview gegeben, worauf die linke Postille Libération den Text hernahm und ihn in einem volle zwei Seiten füllenden Artikel auf politische Unkorrektheit durchsah. Faktisch in jedem Absatz, so das Blatt, habe sich Onfray „rechter Abweichungen“ schuldig gemacht und sich so als Steigbügelhalter des rechtsoppositionellen Front National entlarvt. 

Seitdem also tobt in Paris der Taifun in der Teetasse. Der Ton, den die Aufseher von der Libération gegen Onfray anschlugen, war so penetrant und ungeniert polizistisch, daß selbst treueste Leser sich voller Ekel abwandten und ihr Abonnement kündigten. Bekannte, eher als links geltende Publizisten wie Alain Finkielkraut, Emmanuel Todd, Jacques Sapir und Christophe Guilluy meldeten sich zu Wort und protestierten gegen die merkwürdige „Diktatur von hinten“, die hier ausgeübt werde. Man darf darauf gespannt sein, ob und wie es weitergeht.   

„Meine Ideen“, verlautbarte der höchst erfolgreiche Sachbuchautor Guilluy, „sortiere ich doch nicht nach Parteigruppierungen. Sie sind gemeinfrei, und ich werde den Leuten doch nicht verbieten, meine Bücher zu kaufen (…) Im übrigen: Es ist ja nicht so, daß Nietzsche ein Nazi gewesen ist, nur weil auch Adolf Hitler sich auf ihn bezogen hat.“ Guilluy zielte damit auf den Umstand, daß sich Onfray selbst gern als (Links)-Nietzscheaner bezeichnet und allein das schon der Libération genügte, um ihn als potentiellen Anhänger Marine Le Pens und Proto- und Krypto-Faschisten zu denunzieren.


Es verhält sich eben so, daß die Linke, die zur Zeit auch noch in Frankreich die Medien weitgehend beherrscht, gar nicht mehr in der Lage ist, Zwischentöne, Modulationen, Individualitäten wahrzunehmen. Es gibt für sie nur noch brutalstes Entweder-Oder: Entweder er plappert das nach, was wir ihm vorgeben, oder er ist ein Feind, der ausgeschaltet werden muß. Die polizistische Abkanzelung Onfrays liefert dafür das Modell. Denn Onfray ist genau jener Typ, der nicht ins Schema paßt, der kein Parteigänger, sondern er selbst sein möchte. Und just deshalb muß er zur Strecke gebracht werden.

Der normannische Landarbeitersohn ist eine Art Richard David Precht à la française, er philosophiert zu etwas herabgesetzten Preisen, jedoch so farbenreich und erzählfreudig, daß er viele Leser anzieht und gut von seinen Buchhonoraren leben kann. In seiner Frühzeit vertrat er einen aggressiven Atheismus, später nannte er sich einen Schüler von Albert Camus und kritisierte scharf gängige Zeitgeisterscheinungen, etwa die Gendertheorie oder die allzu unkritische Hinnahme islamischer Bräuche. 

Am meisten ärgert die Leute von Libération freilich die Tatsache, daß er sich unbeirrbar um die Sachen selbst kümmert und nicht um irgendwelche politischen Festlegungen. Wenn man zu  ihm sagt: „Merken Sie nicht, daß Sie hier mit Alain de Benoist (oder mit Eric Zemmour oder mit Michel Houellebecq) übereinstimmen?“, dann donnert er los: „Was soll denn das? Ich freue mich einfach, wenn jemand meiner Meinung ist! Ist so etwas in Frankreich schon verboten? Na, dann gute Nacht.“

In der Tat: Dann gute Nacht. In Deutschland ist diese Methode des herrschenden politisch-medialen Komplexes, über allgemein bewegende Fragen nicht mehr zu diskutieren, sondern die abweichende Haltung von vornherein zu kriminalisieren und nach dem Kadi zu rufen, ebenfalls verbreitet, ja man muß sogar feststellen, daß sie hierzulande bereits das vorrangige Herrschaftsmittel geworden ist, welches inzwischen völlig ungeniert angewandt und sogar staatlich lizenziert und gefördert wird.


Faktisch jeder Tag liefert neue, groteske Beispiele. Die Nachrichten-Agenturen melden, daß sich die Entvölkerung der Dörfer und des sogenannten flachen Landes allmählich verlangsame, weil zunehmend „konservative Familien“ aufs Land zögen, um dort ein naturnahes Leben zu suchen. Und die berüchtigte Amadeu-Antonio-Stiftung, eine staatlich hoch subventionierte Denunziationsagentur „gegen Rechts“, nimmt die Meldung auf und formuliert sie zweckhaltig um: „Immer mehr völkische Siedler ziehen aufs Land, und die Behörden schauen weg!“ Wo bleibt der Staatsanwalt?

Was die Verhältnisse in Frankreich von der deutschen Denunziations- und Kriminalisierungskultur unterscheidet, ist nicht zuletzt der Umstand, daß dort immer mehr Geistesgrößen, auch „Promis“, offen dagegen aufbegehren, sich die offizielle Bevormundung und Einschüchterung nicht mehr gefallen lassen, selbst wenn sie dafür Honorarverluste, schwindendes Medienecho und Anpöbeleien à la Libération in Kauf nehmen müssen. Von bloßen Taifunen in der Teetasse kann längst nicht mehr die Rede sein. Es handelt sich jetzt vielmehr um echte, wortgewaltige Auftritte auf dem öffentlichen Forum der Polis, wo sie ja auch hingehören.

In Deutschland sind wir noch nicht soweit. Bei der „Génération Identitaire“, einem hochintellektuellen französischen Studentenbund, den es seit 2004 gibt, werden bereits leise Scherze darüber gemacht. Das einst von Heinrich Heine angerufene Stimulans für deutsche Protestierer, „das Krähen des gallischen Hahnes“, ertöne doch schon seit längerem. Warum gebe es darauf kein Echo im deutschen Geistesleben?

Wo bleiben, wird gefragt, die Stimmen von Juli Zeh, Ulla Lenze, Uwe Tellkamp, Alexander Osang und anderen, um endlich auch jenseits (also diesseits) des Rheins gegen die Diktatur von hinten zu protestieren? Ja, wo bleiben sie? Vielleicht tragen die angepeilten Protagonisten wirklich Sorge darüber, daß sie nach einem Protest keine Aufträge vom Fernsehen mehr bekommen oder ihre Bücher vom Verlag abgelehnt werden. Das wäre dann ungefähr so etwas wie Wellenkräuseln in der Limonadendose.