© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/15 / 09. Oktober 2015

Der Himmel ist nicht immer blau
Nur Kondensstreifen? Geo-Engineering-Kritiker befürchten chemische Manipulationen am Wetter
Heiko Urbanzyk

Kinder lernen über auffällige weiße Streifen am Himmel, daß es sich um „Kondensstreifen“ handle: Flugzeugabgase, die in Höhen ab acht bis zehn Kilometer auf die kalte Luft treffen und so die weißen Schleier hinterlassen. Dieser harmlosen Erklärung folgt nicht jeder. Eine überschaubare und doch heterogene Szene von Menschen spricht beim Anblick dieser Streifen von „Chemtrails“. Je nach Theorie enthielten diese im Gegensatz zu den normalen Kondensstreifen Polymerkunststoffäden, in die gefährliche Barium- und Aluminiumverbindungen eingelagert sind. Wozu? Auch dazu gibt es verschiedene Theorien: von der schlichten Begrenzung des Klimawandels bis zur Wettermanipulation. Die gängigste Theorie geht davon aus, daß die Erde in Zeiten der Klimahysterie durch das Ausbringen der Partikel eine Art Sonnenschirm zum Zwecke der UV-Strahlungsdämpfung erhalten solle.

„Massive gesundheitliche Folgen“ durch Chemtrails?

Die Gemeinde der Chemtrail- und Geo-Engineering-Kritiker beschränkt sich längst nicht mehr auf das Internet. Organisationen wie die „B.I. Blauer Himmel“ treffen sich in Regionalgruppen und betreiben wie auch „Sauberer Himmel“ eine aktive Öffentlichkeitsarbeit. Im April 2015 trafen sich rund 200 Menschen zum „Global March against Chemtrails and Geo-Engineering“ in Berlin; Männer und Frauen aller Altersgruppen. Vor allem aber junge Frauen und auch Kinder waren auffallend stark vertreten. Ende August gründete sich eine „Blauer Himmel“-Ortsgruppe in Dortmund. Die JF möchten die Initiatoren beim ersten Treffen aber nicht dabei haben. „Wir möchten uns erst untereinander kennenlernen“, bittet uns die Sprecherin um Verständnis.

In Berlin sprach unter anderem Werner Altnickel. Der frühere Greenpeace-Aktivist und Träger des Deutschen Solarenergiepreises ist Macher der Netzseite chemtrail.de. Hier gibt es Videos und Berichte sowie einen Echtzeit-Flugradar für den weltweiten Flugraum.

Altnickel ist eine Koryphäe der Bewegung. Seine Dokumentensammlung ist beeindruckend. Wo immer über Chemtrails oder Eingriffe in das Wetter berichtet wird – Altnickel registriert das: vom N-TV-Bericht über den italienischen Nato-General Fabio Mini bis zur Geo-Engineering-Konferenz 2013 von 48 Wettermanipulationskritikern im Europäischen Parlament. Eine solche Quellenlage kann interessierte Leser sicherlich einnehmen. Die letzte Gewißheit fehlt dennoch; denn wer kann und möchte schon zu jeder Quelle eine Gegenrecherche unternehmen?

Altnickel ist seit 28 Jahren Mitglied der Grünen und seinen Parteigenossen laut eigener Aussage „ein Dorn im Auge“. Er kritisiert die USA, und von der „Klimakatastrophen-CO2-Religion“ des menschengemachten Klimawandels hält er gar nichts. Von Altnickel möchte die JF wissen, wie das mit den Chemtrails technisch funktionieren soll.

Altnickel ist medienscheu. Er hat schlechte Erfahrungen gemacht, unter anderem mit Spiegel-TV. Gegenüber der JF erklärt er auf Anfrage dennoch: „In meinem Sonderdruck ‘Totale Wetterkontrolle’ findet man unter anderem im Geo-Engineering-Plan 1992 der US National Academy of Sciences die Empfehlung: ‘Das Flugzeugtreibstoffgemisch von kommerziellen Flugzeugen während des Höhenlagefluges angereicherter brennen zu lassen, um über die erhöhte Menge der Abgaspartikel die solare Einstrahlung zu verringern.’ Und unter: Stratospheric Bubbles: ‘Plaziert Milliarden von mit Aluminium beschichtete, mit Wasserstoffgas befüllte (Micro) Ballons in die Stratosphäre, um ein reflektierendes Schutzschild zu schaffen.’“ 

Auch gebe es eine „sehr aufschlußreiche Bundeswehr-Studie Geo-Engineering“ von November 2012. Sie findet sich auf den Netzseiten des Planungsamtes der Bundeswehr. Zitat: „Gegenwärtig aber unternimmt der Mensch Anstrengungen, nicht allein lokale Wetterphänomene, sondern das gesamte globale Klima gezielt zu beeinflussen.“

Worin liegt nun der Skandal des hehren Unterfangens im Namen des Klimaschutzes? Chemtrails, so Altnickel, hätten massive gesundheitliche Folgen. Dazu gehörten verschiedene Atemwegserkrankungen, Schleimhautreizungen, allergische Reaktionen, Gedächtnisbeeinträchtigungen, Wortfindungsstörungen, grippale Infekte.

„Keinerlei wissenschaftliche Beweise“ laut Umweltamt

Für viele sind Leute wie Altnickel bloß „Verschwörungstheoretiker“. Zu diesen gehört auch der Rechtsanwalt Dominik Storr, der sich selbst als „Bürgeranwalt“ bezeichnet. Er reichte im Jahr 2013 eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Präsidenten des Umweltbundesamtes (UBA), Jochen Flasbarth, beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ein.

Das UBA erteilte in der Publikation „Chemtrails – Gefährliche Experimente mit der Atmosphäre oder bloße Fiktion?“ jeglichen Verschwörungstheorien eine Absage. Es dürfte sich dabei nach wie vor um das wichtigste offizielle Dokument handeln, das die Chemtrail-Theorien entkräften möchte. „Für das Einbringen von Aluminiumverbindungen in die Atmosphäre und die Bildung sogenannter Chemtrails gibt es keinerlei wissenschaftliche Belege“, schrieb das UBA. Im Internet würden Bilder etwaiger Chemtrails verbreitet, „die allerdings keinen Anlaß geben, dahinter etwas anderes als gewöhnliche Kondensstreifen oder Wolken zu vermuten. Zumeist handelt es sich um die unterschiedlichen Formen von Zirruswolken, die aus Eiskristallen bestehen.“ 

Das UBA bemühte sich in der Stellungnahme, die Entstehung der Kondensstreifen wissenschaftlich fundiert zu erklären. Das Amt versicherte, daß es weder beim Institut für Physik der Atmosphäre des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt noch beim Deutschen Wetterdienst Hinweise auf das gezielte Ausbringen von Chemikalien in der Luft gebe.

Indessen gab das Umweltbundesamt zu, daß es selbstverständlich eine wissenschaftliche Diskussion über das Geo-Engineering gebe. „Jedoch konnten sich diese Ansätze aus dem Bereich des Geo-Engineering – das sind großmaßstäbliche Eingriffe in natürliche Vorgänge – nicht durchsetzen“.

Storr wollte dem UBA auferlegen lassen, solche „nachweislich falschen“ Aussagen und „Irreführungen“ zu unterlassen und die Publikation „umgehend an die derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisse anzupassen.“ Ohne Erfolg.

Eine Aktivistin der Chemtrail-Szene, die anonym bleiben möchte, verrät uns allerdings: „Nur 30 Prozent der Streifen am Himmel sind Chemtrails.“ Über Fehlinformationen im Internet ließen sich zu viele „Chemtrailer“ unnötig verrückt machen. Es gebe aber auch seriöse Informationen „wie die von Altnickel“.

Studie des Planungsamtes der Bundeswehr: www.planungsamt.bundeswehr.de/

Stellungnahme des Umweltbundesamtes: www.umweltbundesamt.de