© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/15 / 16. Oktober 2015

„Wenn ich Grieche wäre, würde ich sofort austreten“
Buchvorstellung zur Eurokrise: Hans-Werner Sinn sieht durch die Währungsunion Marktwirtschaft, Demokratie und Frieden in Europa gefährdet
Christian Dorn

Auf den Wirtschaftsbuchpreis 2015, der zur Frankfurter Buchmesse vergeben wird, kann sich Hans-Werner Sinn keine Hoffnungen machen. Nicht, weil das Werk des Ifo-Präsidenten nicht den Ansprüchen genügte, im Gegenteil: Gerade weil es auf dem neuesten Stand ist – also auch die aktuellen Zahlen Griechenlands reflektiert –, wurde es zu spät fertig, um noch auf der entsprechenden Shortlist berücksichtigt zu werden.

Dabei ist Sinns Buch „Der Euro – Von der Friedensidee zum Zankapfel“ sogar fast eine Nachverwertung. Bereits 2014 erschien die englische Originalausgabe „The Euro Trap: On Bursting Bubbles, Budgets, and Beliefs“ bei Oxford University Press. Übersetzungen ins Chinesische und Koreanische folgten, weshalb die stark ergänzte Veröffentlichung auf deutsch überfällig war. Schließlich habe Sinn mit dieser Arbeit, so der frühere IWF-Chefökonom Kenneth Rogoff, das wohl „wichtigste wissenschaftliche Buch in mindestens einer Dekade über den Euro geschrieben, eines, das von allen Seiten der politischen Debatte sorgfältig studiert werden sollte“.

Der einzige Ausweg eine „atmende Währungsunion“?

Um so erstaunlicher war die überschaubare Zahl der Medienvertreter im Berliner Haus der Bundespressekonferenz. Die großen GEZ-Sender fehlten gänzlich, nicht ein einziger Finanzpolitiker des in Laufweite liegenden Bundestags war am Dienstag erschienen. Nur ein griechischer Journalist war mit Kamera vertreten, der Sinn keck fragt, um wieviel denn Griechenland im Inneren noch abwerten müßte, um innerhalb des Euro wettbewerbsfähig zu bleiben. Bislang, so Sinn, habe Griechenland um sechs Prozent abgewertet, laut Goldman Sachs müsse es noch um dreißig Prozent abwerten, wobei er sich unsicher sei, ob dies reichen würde. So liege der Stundenlohn in Rumänien und Bulgarien zwischen drei und vier Euro, in der Türkei bei fünf bis sechs Euro, in Griechenland jedoch bei 14 bis 15 Euro pro Stunde. Daher liegt für Sinn der einzige Ausweg Griechenlands im Verlassen der Eurozone: „Wenn ich in Griechenland was zu sagen hätte, würde ich sofort austreten.“ In dieser Frage stimme er auch mit dem US-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz überein. Oder dem griechischen Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis, der bis zum Rücktritt mit einer geheimen Arbeitsgruppe an einem Konzept zum Euro-Ausstieg gearbeitet habe. Am 28. Oktober werden Sinn und Varoufakis in der Aula der Ludwig-Maximilians-Universität in München über einen Ausweg aus der Eurokrise diskutieren. 

Nötig hierzu ist freilich die Einsicht, daß der als „Friedensprojekt“ eingeführte Euro genau das Gegenteil bewirke. Daher plädiert Sinn für eine „atmende Währungsunion“, aus der die beteiligten Staaten bei Bedarf auch wieder austreten können. Generell, so Sinn lakonisch, könne auch „das unproduktivste Land der Welt wettbewerbsfähig sein“, wenn es seinen Lebensstandard entsprechend senke. Innerhalb des Euros aber könnten Griechenland, Spanien oder Portugal ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht wiedererlangen. Selbst Frankreich gehöre eigentlich nicht dazu, da es angesichts seiner „immens hohen Staatsquote“ von 57 Prozent indirekt zu den gestützten Staaten zählt. Es sei „erstaunlich, was die Franzosen so alles vorhaben“ – allerdings nicht so sehr, wenn man begreife, daß diese ihr Heil in der Fiskalunion sehen.

Ifo-Spezialthema Euro-Krise:  www.ifo.de

Hans-Werner Sinn: Der Euro – Von der Friedensidee zum Zankapfel. Hanser Verlag, München 2015, 560 Seiten, gebunden, 24,90 Euro