© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/15 / 16. Oktober 2015

Politisch korrektes Schleusen in der Ägäis
Zuwanderungslobby: Wie die deutsche Migrationsindustrie versucht, die Tore Europas für Flüchtlinge aus der Dritten Welt noch weiter zu öffnen
Stefan Michels

Ein junger Mann steht alleine am Ufer, dahinter das weite Meer. Auf den ersten Blick scheint der Deckel des Büchleins auf einen dieser Reiseführer hinzuweisen, wie ihn Individualtouristen auf ihrem Mittelmeerurlaub im Rucksack tragen. Doch der Inhalt beschreibt eine Reise ganz anderer Art.

 Auf vierzig Seiten werden Bootsmigranten auf gutem Englisch ausführliche Tips gegeben, welche behördlichen Prozeduren sie – wenn überhaupt – nach ihrer Anlandung in Griechenland erwarten, welche Rechte sie genießen, wie sie sich beim Antrag auf Asyl zu verhalten haben und wo sie Hilfe durch migrationistische Unterstützergruppen erhalten, wenn die griechischen Behörden ihnen selbiges oder andere Anliegen verwehren. 

Aktivisten träumen von einer Welt ohne Grenzen

Dargereicht werden die Informationen in Frage-und-Antwort-Form. Weitere Sprachversionen existieren auf arabisch, persisch und französisch. Die zweite, aktuelle Ausgabe datiert auf den Juli dieses Jahres. Den professionellen Gesamteindruck runden ein Adreßverzeichnis von dreißig Interessenvertretungen der Migrationsindustrie in Griechenland sowie Kartenmaterial mit Angabe der Lage der staatlichen Sammellager ab. 

Sogar die Fährverbindungen von den ägäischen Inseln zum Festland werden aufgelistet – selbstverständlich mit Abfahrtszeiten und Fahrpreis. Zur geplanten Weiterreise – ausdrücklich wird das natürlich nicht gesagt – ist zudem eine Europakarte mit den Grenzen der EU und des Dubliner Raums beigefügt. Kurzum, bei „Welcome to Greece“ handelt sich um einen Anleitungsfaden, wie Migranten aus der Dritten Welt ihren Fuß in die europäische Tür bekommen.

Ist das illegal? Es scheint sich zumindest um eine rechtliche Grauzone zu handeln. Als Passivschleusen könnte man die Methode bezeichnen. Die Autoren vermeiden es penibel, zu offenen Rechtsbrüchen aufzufordern. Vor allen Dingen liefert das Büchlein keine praktische Anleitung zur offenen Grenzverletzung; wohlfeil setzt seine Erzählung erst in dem Moment an, in dem der illegale Grenzübertreter seinen Fuß auf griechisches Territorium gesetzt hat oder von der Küstenwache aufgegriffen wurde. Auch werden den Grenzverletzern – anders als bei den aktiven Menschenschmugglern – keine falsche Hoffnungen oder Versprechungen gemacht. Es wird sogar ausdrücklich auf den grundsätzlichen Unterschied zwischen einem politischen Flüchtling und einem Wirtschaftsflüchtling, der keine Asylberechtigung genießt, hingewiesen. 

Und doch ist das Pamphlet letztlich an ideologischer Einseitigkeit kaum zu überbieten. Als „illegal“ werden immer nur mögliche Gegenmaßnahmen der griechischen Behörden gegeißelt, niemals jedoch die vorangegangene Grenzverletzung der Migranten und schon gar nicht ihr durch kein internationales Recht gedeckter, rein ökonomisch motivierter weiterer Durchmarsch durch zahlreiche sichere Balkanstaaten. 

„Welcome to Greece“ ist damit ein typisches Produkt selektiver linker Wahrnehmung und Moral, die sich dem fundamentalistischen Gedanken einer Welt ohne Grenzen – und damit in der Konsequenz ohne Nationen, Völker und Kulturen – verschrieben hat.

Refugee Support Teams an allen Brennpunkten aktiv 

In jüngster Zeit scheint die Schleusergruppe sogar aktive Anstrengungen zu unternehmen, Migranten aus der Türkei nach Europa hinüberzulocken – und damit auch der Gefahr der Überfahrt auszusetzen. Obgleich die nur unter ihrem Vornamen auftretenden Autoren im Internet beteuern, daß „die Führer nicht dazu verwendet werden, um dafür zu werben, daß mehr Menschen nach Europa kommen“, und deshalb nur in Griechenland erhältlich seien, gab unlängst ein Mitglied der Gruppe gegenüber Sky News eben das zu: „Aktivisten aus unserem Netzwerk verteilen die Führer gratis in der Türkei.“ Die lapidare Begründung: Die Menschen kämen so oder so, dann könne man sie auch gleich mit Informationsmaterial versorgen.

Wer steckt hinter diesen Aktivitäten? Allem Anschein nach handelt es sich um ein reines Projekt der deutschen Migrationsindustrie. Herausgeber der Broschüre ist „w2eu – Welcome to Europe“. Nach Angaben des linken Onlineprojektes „Kompass.Antira.Info  – Plattform der antirassistischen Bewegung“ entstand die Gruppe 2009 – mit dem Namen „lsv-hh“ – in Hamburg bei der Vorbereitung auf ein Kooperationstreffen von Antigrenzaktivisten auf der griechischen Insel Lesbos – just der Insel, die heute im Mittelpunkt des Migrantenansturms steht. 

„Thematisch zusammenhängend“  mit dem Engagement von Pro Asyl auf Lesbos, „aber organisatorisch unabhängig“ fand auf Lesbos im August 2009 ein „Grenzcamp“ statt, an dem auch der Flüchtlingsrat Hamburg teilnahm. Neben konkreten Aktionen und inhaltlichen Spots diente das Camp, Angaben des Flüchtlingsrats zufolge, „vor allem der Vernetzung der Flüchtlingsinitiativen in Europa“. Mit dabei: Hagen Kopp. Der Hanauer gehörte 1997 zu den Mitbegründern des bundesweiten Netzwerks „kein mensch ist illegal“.

 Auch w2eu-Aktivistin Aida Ibrahim war dabei und erklärte gegenüber der der Berliner taz: „Einige der Migranten, die während des Camps im Zirkuszelt angekommen waren, haben es auf meist verschlungenen Wegen weiter nach Norden geschafft und sich bei den deutschen Aktivisten, die sie auf Lesbos kennengelernt hatten, über Facebook, E-Mail oder Telefon gemeldet.“ „Nach dieser Erfahrung“, so Ibrahim weiter,  „dachten wir: Da steckt politisch noch viel mehr drin. Wir mußten dranbleiben und etwas daraus machen.“

2011 unterstützte das mittlerweile auf zahlreiche deutsche Städte ausgeweitete Netzwerk einen Hungerstreik von mehreren hundert Flüchtlingen und Grenzbrechern, die eine „Legalisierung aller Migranten in Griechenland“ forderten – zum damaligen Zeitpunkt bereits über eine Million Menschen oder rund zehn Prozent der Gesamtbevölkerung. 

Die Druckkosten für die 20.000 Stück der arabischen und persischen Ausgabe wurden von der in Frankfurt ansässigen Stiftung Medico International übernommen, in deren Kuratorium der bekannte Fernsehkabarettist Georg Schramm sitzt. Medico „fordert sichere und legale Wege für Flüchtlinge, um Zufluchtsorte in Europa zu erreichen, ohne sich in tödliche Gefahren begeben zu müssen“. Eigenen Angaben zufolge unterstützt Medico, gemeinsam mit Pro Asyl, sowohl in Griechenland als auch in der Türkei „sogenannte Refugee Support Teams, bestehend aus Rechtsanwält_innen, Dolmetscher_innen und Forscher_innen. Sie stehen besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen wie unbegleiteten Minderjährigen und Folteropfern zur Seite und intervenieren gegen illegale Haft und Abschiebungspraktiken.“ 

Mit im Boot bei „Welcome to Europe“ befindet sich Bordermonitoring e.V. Der Münchner Verein sieht sein Ziel darin, „wissenschaftliche Forschung, bürgerschaftliches Engagement, kritische Öffentlichkeitsarbeit und konkrete Unterstützung für Flüchtlinge und MigrantInnen“ miteiander zu kombinieren. Damit wollen die Aktivisten um den Gründer Marc Speer, der unter anderem im Vorstand der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche wirkt, ihren „Beitrag zur Veränderung der Realität an den Grenzen und ihrer Konsequenzen für die Gesellschaften in Europa“ leisten.

Zum Netzwerk gehört ebenso die „Forschungsgesellschaft Flucht & Migration“ (FFM). Trotz des hochtrabenden wissenschaftlichen Titels sind die dargebotenen Analysen lobbyistische Einfachkost. Eine Antwort darauf, wie viele der derzeit weltweit auf 59,6 Millionen geschätzten Vertriebenen einen Anspruch auf legalen Zugang nach Europa haben sollen und was das für die Europäer selbst bedeuten würde – der Leser findet sie bei FFM jedenfalls nicht. 

Dafür zählt die linke Denkfabrik in  Berlin-Kreuzberg zu ihren Aktivposten die „direkte solidarische Arbeit“ mit Migranten, was nicht nur nach parteiischer Feldarbeit klingt, sondern auch ist: Ende September bot FFM etwa einen „Abend zu praktischer Fluchthilfe“ an. Inhalt der Vorträge war das politisch korrekte Menschenschleusen, die oberste Devise lautete „Shutteln statt Schmuggeln“. 

Daneben bietet FFM jedoch auch wertvolle Insider-Informationen aus der Region, die das ganze Ausmaß der Sogwirkung der Merkelschen Politik der offenen Tore offenbaren. Mittlerweile, so FFM, habe sich über den Libanon eine Fluchtroute vom syrischen Homs bis nach Berlin von „vielleicht zehn Tagen“ gebildet, die täglich 1.000 bis 1.500 Migranten nutzen würden. 

Öffentlichkeit soll sensibilisiert werden  

Unter anderem auf dieser Route, in der Ägäis, betreiben FFM, w2eu, die Aktion „Boats4People“ sowie das deutsch-österreichisch-niederländische Netzwerk Afrique-Europe-Interact ein Smartphone-gerechtes Alarmtelefon namens „Watch the Med“, über das in Seenot geratene Flüchtlinge die Küstenwache um Seerettung bitten können. Zu den Unterstützern von „Watch the Med“ gehören neben Pro Asyl die Hamburger Stiftung :do, Bordermonitoring und Medico International 

„Watch the Med“, so Medico offen,    nehme Anrufe von Flüchtlingen entgegen, die auf dem Mittelmeer in Seenot geraten. Der Zweck: So soll „Öffentlichkeit hergestellt werden, um sicherzustellen, daß niemand seinem Schicksal überlassen wird. Die Freiwilligen werden dann am Telefon zu unmittelbaren Zeugen des Überlebenskampfes auf See und versuchen alle möglichen Rettungskräfte zu verständigen.“