© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/15 / 16. Oktober 2015

Das Jahrhundert der Deutschen
Von den Staufern und den großen Kaisern, die sie hervorbrachten, vom Streit mit Heinrich dem Löwen und jenem Friedrich II., der der »erste moderne Mensch« war und lieber in Italien als in Deutschland lebte / Folge 3
Karlheinz Weißmann

Es gibt wohl bei allen Völkern einen Herrscher oder Helden, der zur Legende wird. Bei den Israeliten war das David, bei den alten Briten war das Artus. Die beiden haben insofern Ähnlichkeit, als die Menschen erwarteten, dass der eine wie der andere zurückkehren werde, wenn sein Volk in große Gefahr geriet. Die Israeliten glaubten, dass der Messias – also »der Gesalbte« –, der ihre Feinde besiegen und vertreiben sollte, ein neuer David oder einer aus dem Geschlecht Davids sein müsse, während die Briten meinten, Artus sei in seiner letzten Schlacht gar nicht gefallen, sondern von Feen auf die Insel Avalon entführt worden, wo er warte, bis die Zeit seiner Rückkehr komme. Beide Geschichten erinnern nicht zufällig an die berühmteste, die über einen deutschen Kaiser erzählt wird: Friedrich I., genannt »Barbarossa«, italienisch für »Rotbart«, galt auch als ein Herrscher, der nicht gestorben ist, sondern auf seine Wiederkehr wartet. Es gibt an vier Stellen in Deutschland Berge, von denen es heißt, dass dort Friedrich Barbarossa in einer Höhle schlafe. Der bekannteste dieser Berge ist der Kyffhäuser in Thüringen, und die Sage über den Kyffhäuser überliefert, dass darin der Kaiser sitze und sein Bart durch den Tisch wachse, auf den er seinen Kopf stütze. Alle hundert Jahre verlasse er die Höhle und schaue nach, ob die Raben noch um den Berg fliegen. Wenn das der Fall sei, dann kehre er in das Innere zurück, denn seine Zeit sei noch nicht gekommen.

Man kann sich unschwer vorstellen, dass die Sehnsucht der Deutschen nach der Rückkehr Friedrich Barbarossas entstand, als das Reich schwach war und zu zerfallen drohte. Da erschien seine Herrschaft in einem besonders glänzenden Licht. Aber das war nicht nur Phantasie, für diesen Wunsch gab es gute Gründe. Man kann die Zeit, in der Friedrich Barbarossa und die anderen Mitglieder seiner Familie – der Staufer – regierten, als Deutschlands »großes Jahrhundert« bezeichnen. Der deutsche Kaiser galt noch einmal als der erste Herrscher Europas und alle anderen als unwichtig, er der Adler, sie die »Zaunkönige«, wie es ein berühmter Dichter, Walther von der Vogelweide, ausdrückte.

Friedrich Barbarossa bestieg 1152 den Thron, und in den folgenden Jahren gelang es ihm, die Macht des Kaisertums auf eine neue Höhe zu führen. Auch die Päpste mussten sich ihm unterordnen, wenngleich sie es bloß zähneknirschend taten, und auch nur zähneknirschend hinnahmen, dass Friedrich I. sein Herrschaftsgebiet sehr stolz als »Heiliges Römisches Reich« bezeichnete. »Heilig« sollte das Reich sein, weil sein Herrscher von Gott eingesetzt wurde. »Römisch« sollte es sein, weil die Römer das bis dahin mächtigste Reich überhaupt geschaffen hatten, von dem man glaubte, dass es – wenn auch von einem anderen, dem deutschen, Volk getragen – bis ans Ende der Welt bestehen sollte. Und um ein »Reich« handelte es sich, weil es aus verschiedenen Herrschaftsgebieten zusammengesetzt war. Tatsächlich regierte Friedrich Barbarossa nicht nur Deutschland, sondern auch die angrenzenden slawischen Länder, Norditalien und Teile des heutigen Ostfrankreichs, die zum Königreich  Burgund  zusammengefasst  wurden.  Niemals zuvor war diese riesige Fläche so sicher in einer Hand. Dass Friedrich beschloss, zukünftig einen zweiköpfigen oder »Doppeladler« als Wappen zu führen, passt gut dazu, denn dessen beide Köpfe sind voneinander abgewandt und überschauen so den Westen wie den Osten.

Allerdings gab es auch Widerstände gegen den Versuch Friedrichs I., zum mächtigsten Herrscher Europas aufzusteigen. Vom Papst war schon die Rede, und dann kamen noch die Fürsten hinzu, denen es nicht gefiel, dass die Stellung des Kaisers immer stärker wurde. Gefährlich für Friedrich Barbarossa war vor allem Heinrich der Löwe, der gleich zwei Herzogtümer regierte: Sachsen und Bayern. Heinrich stammte aus der Familie der Welfen, die es auch auf die Königs- beziehungsweise Kaiserkrone abgesehen hatte. Die Welfen waren sehr stolz darauf, dass sie ihre Abstammung weiter zurückverfolgen konnten als die Staufer. Sie glaubten deshalb, vornehmer zu sein. Und nach- dem Heinrich eine Tochter des Königs von England geheiratet hatte, meinte er sogar, sich mit dem Kaiser auf eine Stufe stellen zu können. Jedenfalls ging er daran, seinen Besitz nach Osten und nach Süden auszudehnen. Ohne Zweifel war Heinrich ein fähiger und tatkräftiger Mann, aber er missachtete die Rechte anderer Fürsten und verweigerte schließlich sogar dem Kaiser die Gefolgschaft, als es darum ging, dessen Macht in Italien zu sichern. In der Folge setzte Friedrich Barbarossa Heinrich den Löwen ab, verbannte ihn und nahm ihm seine Herzogtümer. Erst später durfte er aus England nach Deutschland zurück- kehren, erlangte aber niemals wieder die alte Stellung.

Friedrich selbst begab sich noch als alter Mann auf einen Kreuzzug und starb 1190 auf dem Gebiet der heutigen Türkei, wahrscheinlich weil er wegen der Hitze, die dort herrschte, ein Bad in einem eiskalten Fluß genommen hatte und einen Herzschlag erlitt. Die Teilnahme am Kreuzzug war zwar ein Unglück für ihn wie für sein Reich, aber sie zeigt auch, wie sehr Friedrich Barbarossa dem ritterlichen Gedanken verpflichtet war. Er hat tatsächlich viel dafür getan, dass sich die Vorstellung des Rittertums im deutschen Adel verbreitete. Seine Söhne Heinrich und Friedrich ließ er bei einem großen Hoffest, das 1184 in Mainz abgehalten wurde, feierlich in den Ritterstand erheben. Dazu gehörte, dass der junge Mann, der noch »Knappe« (daher unser Wort »Knabe«) war, fastete und eine Nacht im Gebet in einer Kapelle wachte, dann wurde er feierlich mit dem Schwert gegürtet und so zum Ritter erhoben. Jetzt durfte er am Turnier teilnehmen, einem Kampfspiel zu Fuß oder zu Pferd, bei dem mit stumpfen, aber doch richtigen Waffen gegeneinander gefochten wurde. Entscheidend war nicht nur, dass der Ritter sich geschickt und tapfer zeigte, denn das gereichte ihm zur Ehre, sondern auch, dass er sich vor den Damen auszeichnen konnte. Neben der einen Überzeugung, dass ein Ritter ein guter Christ zu sein habe und nur für eine gerechte Sache zu den Waffen greifen dürfe, stand die zweite, dass er sich »höflich«, also so wie am Hof des Königs üblich, zu benehmen habe, vor allem gegenüber den adligen Frauen.

Den erwähnten Sohn Heinrich hat Friedrich Barbarossa noch zu seinen Lebzeiten zum König krönen lassen und so vor seinem Aufbruch zum Kreuzzug die Thronfolge gesichert. Ohne Zweifel war Heinrich  eine große Hoffnung für die Fortsetzung der staufischen Herrschaft. Er hatte sogar den Plan, seiner Familie auf Dauer das Kaisertum in Deutschland zu sichern. In den anderen Ländern, vor allem in England und Frankreich, war es längst üblich, dass die Herrschaft vererbt wurde. Aber nicht in Deutschland. Deshalb musste Heinrich die Fürsten erst dazu bringen, ihr Wahlrecht aufzugeben. Und das taten sie nur, wenn man ihnen etwas zum Ausgleich anbot. Heinrich, der als Heinrich VI. die Krone erhielt, übertrug ihnen tatsächlich viele Rechte, die bisher nur der König beziehungsweise Kaiser hatte ausüben dürfen, um ihre Zustimmung zu erhalten. Gerade als er mit diesem Plan Erfolg zu haben schien, starb er, nur zweiunddreißig Jahre alt. Ein Ereignis, das niemand erwartet hatte, das aber schwerwiegende Folgen für die deutsche Geschichte haben sollte.

Heinrich hinterließ eine junge Witwe und als einziges Kind einen dreijährigen Sohn. Der Kleine wurde von allen nur Federico gerufen. Dass man den Namen dieses Friedrich italienisch aussprach, hatte damit zu tun, dass seine Mutter Konstanze eine Prinzessin von Sizilien war. Sie hatte ihrem Mann diese schöne Insel und den Süden Italiens mit in die Ehe gebracht. Aber Heinrich hatte kaum Gelegenheit, sich daran zu freuen. Anders sein Sohn, der zeit seines Lebens mehr in Italien als in Deutschland war. Das gehörte auch zu den Folgen des unerwarteten Todes seines Vaters. Denn da Heinrich VI. keinen erwachsenen Erben hatte, konnten die Welfen ihre Chance nutzen. Mit Otto IV., dem Sohn Heinrichs des Löwen, kam endlich einer aus ihrer Familie auf den Thron. Gleichzeitig schien es so, als ob Federico schon froh sein musste, wenn er auch nur mit dem Leben davonkam. Es gibt Erzählungen, dass er in seiner Heimatstadt Palermo lange wie ein Straßenkind lebte, in Lumpen, barfuß, bettelnd und stehlend. Aber dabei blieb es nicht. Der Papst, der eigentlich die Familie der Staufer hasste, sah in dem Kind irgendwann ein brauchbares Werkzeug im Kampf gegen die Machtansprüche, die nun auch Kaiser Otto IV. gegen ihn erhob. Also ließ er Friedrich sorgfältig erziehen und schließlich nicht nur zum König von Sizilien krönen, sondern auch zum deutschen König und schließlich Kaiser. Ein Freund des Papstes wurde Friedrich aber trotzdem nicht. Man kann das an zwei Dingen sehen: Er hat, anders als praktisch jeder Herrscher des Mittelalters, nie eine Kirche bauen lassen, und zwar später auf Drängen des Papstes einen Kreuzzug durchgeführt, aber lieber mit den Muslimen verhandelt – und das erfolgreich –, anstatt zu kämpfen.

Friedrichs Feindschaft gegenüber der Kirche hatte auch  damit  zu tun, dass er in mancher Hinsicht der erste moderne Mensch war. Er traute der Religion so wenig wie der Überlieferung. Er wollte die Dinge selbst begreifen und hielt viel von wissenschaftlichen Versuchen. Wegen seiner hohen Intelligenz und umfassenden Bildung nannten ihn seine Zeitgenossen »stupor mundi«, lateinisch für »Staunen der Welt«. Das war immer halb bewundernd, halb fürchtend gemeint. Zum Entsetzen der Kirche rechnete er mit »ungläubigen«, also arabischen, und nicht mit »gläubigen«, also römischen Zahlen. Er schrieb selbst ein Buch – unter dem Titel Über die Kunst, mit Vögeln zu jagen –, in dem er darlegte, wie man Raubvögel so abrichten kann, dass sie für den Menschen auf die Jagd gehen. Auch da betonte er, dass seine Kenntnisse nicht einfach aus Büchern oder aus Erzählungen anderer stammten, sondern auf seiner eigenen Erfahrung beruhten. Friedrich ließ außerdem zahlreiche Experimente durchführen. Manche davon waren für unsere Vorstellung ausgesprochen grausam. Das berühmteste sollte die alte Streitfrage zwischen den jüdischen, muslimischen und christlichen Gelehrten klären, die auf Sizilien alle zusammenlebten. Die Frage lautete: »Welche Sprache haben die Menschen im Paradies gesprochen?« Die Juden glaubten, dass es Hebräisch gewesen sei, die Muslime behaupteten Arabisch, und die Christen meinten, dass es sich um Griechisch oder Latein gehandelt habe. Daraufhin ließ Friedrich einige neugeborene Kinder an einen abgelegenen Ort bringen und von Ammen großziehen, die sie nährten, kleideten und auch sonst versorgten, die aber nicht mit ihnen sprechen durften. Friedrich wollte wissen, welche Sprache sie untereinander benutzen würden, wenn sie keine Worte von erwachsenen Menschen hörten. Das war klug gedacht, schlug aber trotzdem fehl. Denn der König konnte nicht wissen, dass wir Menschen zwar alle eine angeborene Fähigkeit zu sprechen haben, aber die Sprache selbst immer lernen müssen. Die Kinder, die Friedrich hatte auswählen lassen, sind alle früh gestorben und haben niemals irgendwelche Worte benutzt.

Die größte Leistung Friedrichs in Sizilien war ohne Zweifel die Gründung eines Musterstaates. Für seine Zeit, die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts, war der erstaunlich gut durchdacht. Der König vertraute nicht irgendwelchen Adligen, denen er Land gab (das Lehen, von dem schon die Rede war), damit sie ihm dienten. Er ließ vielmehr ein Gesetzbuch aufschreiben, in dem genau erklärt war, wie die Ordnung des Ganzen aussehen müsste. Dann setzte er gut ausgebildete Beamte ein, die seinen Befehlen zu gehorchen hatten. Während Sizilien sich auf diese Weise sehr gut entwickelte, zeigte der Kaiser kaum Interesse an Deutschland. Er besiegte zwar Otto IV., übergab die Herrschaft aber bald seinem Sohn Heinrich, um wieder in den Süden zurückkehren zu können. Das war ein schwerer Fehler, wie sich rasch zeigen sollte, denn Heinrich rebellierte gegen seinen Vater, der also gegen den eigenen Sohn Krieg führen musste. Heinrich war rasch besiegt und starb schließlich im Kerker. Aber die deutschen Fürsten konnten dem Kaiser immer neue Rechte abtrotzen, und er gab sie ihnen, in der Hoffnung, dass so in Deutschland endlich Ruhe einkehren würde.

Gelungen ist das nicht. Und als Friedrich II. im Jahr 1250 starb, war auch seine Nachfolge nicht gesichert. Er hatte zwar viermal geheiratet und – soweit man weiß – neunzehn Kinder mit seinen eigenen und mit fremden Frauen, aber sein Sohn Konrad, der auch zu Friedrichs Lebzeiten König in Deutschland geworden war, kam bereits vier Jahre später ums Leben, als er versuchte, die Herrschaft seines Vaters in Italien anzutreten. In der Zwischenzeit hatte sich nicht nur der Papst, sondern auch Frankreich entschlossen gegen die Staufer gestellt, und der letzte aus deren Familie, der noch Aussichten auf den Thron hatte, Konrads Sohn, der den Namen seines Vaters trug, aber allgemein »der kleine Konrad«, Konradin, genannt wurde, fiel 1268 unter dem Schwert eines Henkers in Neapel. Da war er gerade sechzehn Jahre alt. Zusammen mit seinem Freund Friedrich von Bayern hatte auch Konradin versucht, das Erbe der Staufer in Italien zurückzugewinnen. Aber nach anfänglichen Erfolgen im Kampf gegen die Franzosen, die  Süditalien und Sizilien besetzt hielten, unterlag er und geriet in Gefangenschaft. Der Führer der Franzosen, Karl von Anjou, befahl seine Hinrichtung. Als man Konradin und Friedrich auf das Schafott führte, heißt es, standen den Menschen die Tränen in den Augen, die sahen, wie jung die Verurteilten waren und wie ritterlich sie sich hielten.

Mit Konradin erlosch das Geschlecht der Staufer, und in Deutschland hatten die Menschen fast die Hoffnung aufgegeben, dass je wieder Ordnung geschaffen werden könnte. Man spricht von »der schrecklichen, der kaiserlosen Zeit«. Fast fünfundzwanzig Jahre lang kämpften nach dem Tod Friedrichs II. verschiedene Adlige um die Krone. Es wurden Könige von den einen gewählt und Gegenkönige von den anderen. Es bildeten sich Parteien mit und ohne Hilfe des Papstes. Aber keiner konnte sich gegen die anderen durchsetzen, und das Land der Deutschen, das eben noch das mächtigste auf unserem Kontinent zu sein schien, drohte in Chaos und Bürgerkrieg zu versinken.

Fotos: Der Ritter wird »gegürtet«: Das war Teil einer Zeremonie, durch die der »Knappe«, der er bis dahin gewesen war, zum Ritter gemacht wurde und das Schwert als Waffe erhielt.; Castel del Monte: Die eindrucksvollste Burg der staufischen Zeit steht bezeichnenderweise nicht in Deutschland, sondern in Süditalien. Friedrich II. ließ sie hoch auf einem Berg errichten. Zu welchem Zweck, ist unbekannt, aber die achteckige Grundform erinnert an dieselbe, die die Kaiserkrone aufwies.; Braunschweiger Löwe: Der Name »Welfe« hängt mit unserem Wort »Welpe« zusammen, das ein junges Raubtier bezeichnet. Deshalb war es für die Welfen naheliegend, den Löwen als Wappentier zu wählen. Das Denkmal in Braunschweig ließ Heinrich der Löwe errichten.