© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/15 / 16. Oktober 2015

Frisch gepresst

Nationale Identität. „Alle großen Länder“, schreibt Neil MacGregor, Direktor des Britischen Museums in London und Gründungsintendant des Berliner Humboldt-Forums, in seinem reich ausgestatteten Deutschland-Buch, versuchten „eine Lesart ihrer Geschichte zu konstruieren, die sie ermutigend und mit Zuversicht zu ihrer aktuellen Stellung in der Welt führt“. Deutschland jedoch habe sich einen solchen nationalen Mythos nicht zurechtlegen können; erst die lange Zersplitterung in Einzelstaaten und dann die Schrecken der NS-Zeit hätten diese Art der Geschichtspräsentation unmöglich gemacht. Gleichwohl gebe es kollektive Erinnerungen an den Reichtum deutscher Kultur und Geschichte, die der englische Autor mit seinem ziegelsteinschweren und prächtig bebilderten Wälzer wachrufen will. In dreißig Schlaglichtern wirft MacGregor einen Blick auf fünfeinhalb Jahrhunderte deutscher Historie, von Gutenbergs Druckerpresse und Martin Luthers Thesenanschlag bis in die Gegenwart des seit 25 Jahren wiedervereinigten Deutschlands; in einem Kapitel hält er Rückschau auf Karl den Großen. Anhand von Menschen und Orten, Objekten und Bauwerken spürt er in seinem elegant formulierten kulturhistorischen Kompendium jenen prägenden Zügen nach, die Deutschlands heutige nationale Identität ausmachen; dazu gehören nicht nur Hitler, die Konzentrationslager und die Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten, sondern eben vor allem Dürer, Grimms Märchen, Goethe, Kant, Caspar David Friedrich, Käthe Kollwitz, aber auch Meißener Porzellan, Bauhaus-Design und vieles mehr. (tha)

Neil MacGregor: Deutschland. Erinnerungen einer Nation. C.H. Beck, München 2015, gebunden, 640 Seiten, 330 Abbildungen, 39,95 Euro




Carl Schmitt. Für Nicolaus Sombart (1923–2008), den Sohn des bedeutenden Nationalökonomen Werner Sombart (1863–1941), übernahm der Freund seiner Eltern, der Staatsrechtler Carl Schmitt, in den 1930er Jahren die Rolle eines Ersatzvaters. „Nico“ hat in seinem besten Buch, der „Jugend in Berlin“ (1984), das einführt in den 1945 versunkenen Berliner Gelehrten- und Künstlerkosmos, eine „Welt der höchsten Bildung“ (Lorenz Jäger), diese enge Beziehung zum Mentor CS unvergeßlich geschildert. Wie der jetzt von Martin Tielke umsichtig edierte, mit einem luziden Nachwort versehene Briefwechsel offenbart, war das innige Verhältnis damals jedoch schon lange zerbrochen. Denn früh verinnerlichte der junge Sombart, seit 1954 Beamter beim Europarat in Straßburg, die Weltstaat samt Weltfrieden verheißende kosmopolitische Heilslehre seiner Brötchengeber. Dabei glaubte er, CS als Exponenten des sexualfeindlich-verpanzerten preußisch-deutschen Machtstaates, des gefährlichsten Aufhalters dieses projektierten irdischen Paradieses, entlarven zu können. Brief für Brief ist nun nachzulesen, wie dieser Nonsens eines wüst assoziierenden „drängelnden Würstchens“ (Andreas Raithel) allmählich aufquillt. Korrekturen des in die Wirklichkeit eingeweihten Schmitt irritieren Sombart nicht. Da seine dem Prinzip Vatermord gehorchenden Thesen zu CS und den „deutschen Männern“ in der ihren Selbsthaß kultivierenden Intellektuellenszene der Bundesrepublik fast ungeteilten Beifall ernteten, liefert Tielkes Edition auch einen wertvollen Beitrag zur Krankheitsgeschichte der „weltoffenen“ und „bunten“ Berliner Republik dieser Tage. (lk)

Martin Tielke (Hrsg.): Schmitt und Sombart. Der Briefwechsel von Carl Schmitt mit Nicolaus, Corina und Werner Sombart, Duncker & Humblot, Berlin 2015, 263 Seiten, Abb., 39,90 Euro