© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/15 / 16. Oktober 2015

Endziel ist die Zerstörung der Familie
Der christliche Sozialwissenschaftler Manfred Spieker analysiert Ziele und Folgen des Gender Mainstreaming und entwirft ein familien- politisches Gegenmodell
Birgit Kelle

Obwohl Gender Mainstreaming neuerdings in aller Munde ist, bleibt oft das ungute Gefühl zurück, das vor allem Konservative und Christen umtreibt, daß man etwas tun müßte, daß man mehr wissen muß und auch eine Alternative haben sollte. An diesem Punkt setzt das neue Buch „Gender Mainstreaming in Deutschland – Konsequenzen für Staat, Gesellschaft und Kirchen“ des emeritierten Sozialwissenschaftlers Manfred Spieker an. Unaufgeregt, sachlich und mit zahlreichen Zitaten und Quellenangaben versehen, zieht er eine Linie über Entstehung des Begriffs, Implementierung in die Politik, bis hin zu den Zielen der Drahtzieher und deren Umsetzung Spieker richtigerweise als eine drohende „Kulturrevolution“ mit dem Endziel der Zerstörung der Familie benennt.  

Hauptangriffsziel stellt dabei die Ehe und die normale Familie aus Vater, Mutter und Kindern deren besonderer Schutz durch Grundgesetzartikel 6 neuerdings in einen Widerstreit mit Artikel 3 GG (Diskriminierungsverbot) gedrängt wird.  Klar schlüsselt er auf, wie der Angriff auf die Familie strategisch umgesetzt wird, die sogenannte „Heteronormativität“ gebrochen werden soll und die Sonderstellung von Ehe und Familie politisch ausgehöhlt wird. 

Drei strategische Schritte der Gender-Lobby werden bei Spieker benannt: die Legalisierung der eingetragenen Partnerschaft, die sich derzeit in einer „Ehe für alle“-Debatte ihrem finalen Siegeszug nähere, eine neue Familienpolitik, die nach dem 7. Familienbericht eingeläutet wurde und im wesentlichen aus Krippenpolitik und Fremdbetreuung besteht und zuletzt die flächendeckende Implementierung der sogenannten „Sexualpädagogik der Vielfalt“ an den Schulen, die gleichzeitig offenbart, worum es in dieser Bewegung tatsächlich geht: eine „Entnaturalisierung“ von Heterosexualität und Kernfamilie. Und eine Umdeutung von Gender Mainstreaming zu einem „Diversity Mainstreaming“, das vor allem eines im Blick hat: Homosexuellen- und LGBTI-Rechte.

Spieker wäre nicht Spieker, würde ihn nicht die Frage beschäftigen, wie „seine“ katholische Kirche mit dem Thema umgeht. Er benennt die Naiven in den eigenen Reihen, die immer noch dem Mythos nachlaufen, Gender Mainstreaming sei nur eine Übersetzung für  Gerechtigkeit zwischen Mann und Frau. Mit zahlreichen Quellen zeigt Spieker auf, daß es im Gegenzug doch zahlreiche kritische Stellungnahmen aus der katholischen Weltkirche zum Thema Gender gibt. In Stellungnahmen der Glaubenskongregation, im Kompendium der Soziallehre des Päpstlichen Rates „Justitia et Pax“, von Papst Benedikt XVI. und auch Papst Franziskus, zuletzt in der Enzyklika „Laudato Si“, wie auch von einzelnen Bischöfen und verschiedenen Bischofskonferenzen weltweit – wenn auch bezeichnenderweise nicht von der deutschen. 

Der Gegenentwurf zu Gender Mainstreaming folgt in Kapitel 4: die Stärkung von Ehe und Familie. Er listet die Vorteile intakter Familien für die Gesellschaft auf, scheut aber auch nicht davor zurück, die Folgeschäden zerbrochener Familien deutlich auszusprechen: ökonomische Risiken, vor allem aber die psychischen Folgen für Kinder, resultierend aus Scheidungen, unsicherer Bindung und zerbrechenden Familienstrukturen. Die Lösung liegt für Spieker in vier Kernforderungen zur Familienpolitik: einer Erhöhung der Transferleistungen an Familien, einer Vereinbarkeitspolitik, die Familie und Beruf nicht gleichzeitig, sondern sequenziell denkt, der Einführung eines Familienwahlrechtes, das den Kindern eine Stimme verleiht und der Einführung einer Kinderrente, um Gerechtigkeit zwischen Familien und Kinderlosen herzustellen. Nirgendwo wird die Diskrepanz zwischen realer Politik und richtiger Politik deutlicher als in diesem Kapitel.

Den Abschluß bildet ein Kapitel zur katholischen Sexuallehre. Spieker legt die Betonung in das, was die Kirche mit ihrer Sexualmoral verteidigt, und nicht auf den üblichen Blickwinkel, was die Kirche angeblich alles verbietet. Nicht-Katholiken mag es leicht überfordern, sich mit einem neuen Blick auf die Enzyklika „Humanae Vitae“ und den innerkirchlichen Auseinandersetzungen und Widersprüchen dazu zu beschäftigen. Aber auch für Nicht-Katholiken sollte anschließend klar sein: Die Bewahrung der Freiheit und Menschenwürde jedes einzelnen wird auf keinen Fall damit gelingen, daß wir diese Aufgabe Betroffenheitsrhetorikern und Lobbygruppen überlassen, die die Definition des Menschseins auf die Frage der sexuellen Identität zurückführen. 

Manfred Spieker: Gender Mainstreaming in Deutschland. Konsequenzen für Staat, Gesellschaft und Kirchen. Schöningh Verlag, Paderborn 2015, broschiert, 106 Seiten, 16,90 Euro