© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/15 / 16. Oktober 2015

Neues aus der Anstalt
Den Bekloppten klarmachen, daß sie bekloppt sind: Henryk M. Broder ätzt in seinem „deutschen Tagebuch“ über die politisch-korrekten Verirrungen in Medien und Politik
Bernd Rademacher

Der Publizist Henryk M. Broder hat ein neues Buch geschrieben. Obwohl, es hat sich eigentlich ganz von selbst geschrieben. Der Autor hat sozusagen nur als Medium gedient, wie er im Vorwort schreibt. Den Inhalt lieferten Insassen und Aufseher der Irrenanstalt Deutschland im Jahr 2015. In der Tradition Victor Klemperers dokumentiert Broder lediglich das tägliche Abdriften von Politik und Presse in ihr eigenes Nirwana. Sein „deutsches Tagebuch“ (Untertitel) ist eine Chronologie des galoppierenden Irrsinns. Dabei ist Broder durchaus wählerisch: Kleinigkeiten wie die katastrophale „Energiewende“, der Klima-Quatsch, die „Ehe für alle“ oder sonstige Wehwehchen einer von Überfluß-Überdruß geplagten Gesellschaft gehen ihm zwar auf die Nerven, aber sie erfüllen noch lange nicht die Kriterien zur Aufnahme in seine Galerie dessen, was ihn wirklich wahnsinnig macht. 

Zum Beispiel, wenn Marietta Slomka im Bezahlfernsehen vom „sogenannten Islamischen Staat“ spricht. Broder: „Will Slomka mit dem Zusatz andeuten, der IS habe sich die Selbstbezeichnung ‘islamisch’ nicht hart erarbeitet, sondern erschlichen, wie Guttenberg seinen Doktortitel?“

Broder muß einem nicht sympathisch sein, aber ihm ist unumwunden zuzugestehen, daß er keinerlei politisch korrekte Beißhemmung kennt. Und so haut er munter um sich; alle kriegen, was sie verdienen: von selbsternannten „Antisemitismusforschern“, für die Judenhaß arabischer Jugendlicher nicht zu existieren scheint, bis zu den Urhebern des absurden „Bundeswehrattraktivitätssteigerungsgesetzes“ und natürlich immer wieder die Durchgeknallten von den „Qualitätsmedien“.

Zu den Irren, die den gepeinigten Absurditätensammler jedesmal in den Wahnsinn treiben, sobald sie vors Mikrofon treten, gehört der deutsche Außenminister, den Broder daher schon vertraulich „Steini“ nennt. Ja, er findet sogar Entschuldigungen für Steinis unsinniges Geschwätz: „Der permanente Schlafentzug, der dauernde Jetlag und die radioaktive Strahlung auf jedem Flug.“ Dabei findet sich auch noch Platz für heitere Details: So bekam Steini bei seinem Besuch der Mongolei im Juli – bei dem er die „gemeinsamen Werte“ der Mongolei und Deutschlands betonte (?!) – als Gastgeschenk eine Schale mongolischen Trockenquarks überreicht ... Vielleicht eine feinsinnige Anspielung?

Und immer wieder klagt Broder seinem Tagebuch („Liebes Tagebuch ...“), wie ihn die irren Eiertänze um islamische Gewalt und die obszöne Gleichsetzung von Islamkritik und Antisemitismus schier verrückt machen. Wer diese Beispiele liest, den springt der Irrsinn geradezu an. Doch die Irren werden weiter darauf beharren, die Gesunden zu sein. Wie Dieter Bohlen einst sagte: „Das Problem ist: Mach’ einem Bekloppten klar, daß er bekloppt ist.“

Der 69jähriger Broder betont, kein Therapeut zu sein, doch er diagnostiziert, daß seine Funde ein Symptom dafür seien, daß der deutschen Gesellschaft „die Kraft abhanden gekommen ist, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen“. Das kann eigentlich nicht verwundern: Wer seine Weltanschauung aus der Utopie speist, will sich seine schöne Utopie nicht von der Wirklichkeit vermiesen lassen. Er sieht die Realität als Majestätsbeleidigung seiner hohen Ideale an. Darum verfolgt die politische und mediale Klasse alle, die darauf hinweisen, daß die Realität nicht der heilen Utopie entspricht.

Das Schlimme: Broders irres Tagebuch endet am 30. Juni 2015 – es kann also noch viel Irres passieren ...

Henryk M. Broder: Das ist ja irre! Mein deutsches Tagebuch. Knaus Verlag, München 2015, broschiert, 352 Seiten, 16,99 Euro