© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/15 / 16. Oktober 2015

Zuviel Toleranz ist ignorant
Es gibt gute Gründe, den eigenen Standpunkt zu verteidigen: Alexander Kissler begründet gediegen und flott, warum der Westen dem Islam überlegen ist
Jürgen Liminski

Zivilisationen gehen nicht unter, sie begehen Selbstmord“ – dieses Diktum des Kultur- und Geschichtsphilosophen Arnold Toynbee könnte durchaus auf die westliche Kultur dieser Tage zutreffen. Von Berlin über Paris und Brüssel bis Washington gefallen sich Politiker und Medienleute in einer Art Unterwerfung und vorauseilendem Gehorsam gegenüber dem Islam, was man durchaus als kulturellen Selbstmord bezeichnen könnte. Und das unter dem Deckmantel der Toleranz. Da ist das Buch des Kulturjournalisten Alexander Kissler nicht nur hochwillkommen, es ist auch notwendig. Denn diese Selbstaufgabe weiter Teile der politischen Klasse im Namen eines multikulturellen Gutmenschentums ist de facto eine Aufgabe all dessen, was die Menschlichkeit unserer freien Gesellschaft ausmacht. 

Kissler zeigt sich nachhaltig geschockt von dem Terroranschlag auf Charlie Hebdo und den Reaktionen darauf. Das hat ihn offenbar bewogen, eine Genese und aktuelle Diagnose des Begriffs Toleranz zu schreiben und aus dieser Bestandsaufnahme politische Schlußfolgerungen zu ziehen. Herausgekommen ist ein Buch, das trotz der flotten Schreibe durch eine ungewöhnliche Dichte besticht. Es ist kein wissenschaftliches Werk über den Islam, dafür greift er auf namhafte Autoren zurück, die Wissenschaftlichkeit verbürgen. 

Sauber und gediegen aber sind seine Analysen über das Hauptsujet des Buches, die Toleranz. Die Kapitel über Voltaire und Locke, auch über „das normative Projekt des Westens“ (Winkler), sind absolut empfehlenswert. Es ist geradezu eine Wohltat, in knappen und bündigen Sätzen die grundlegenden Werke und ihre Autoren so eingängig serviert zu bekommen. Wer Kissler gelesen hat, weiß wieder, warum es trotz allem erstrebenswert ist, im Westen zu leben und die wirklich freie Welt gegen die totalitären Strömungen des Islam zu verteidigen. Zu Recht heißt der Untertitel auch: Warum der Westen seine Werte verteidigen muß.  

Toleranz, so Kissler, „verlangt zwingend eine eigene Haltung, einen eigenen Standpunkt. Wem alles egal ist, auch das eigene Wertegerüst, der ist nicht tolerant, sondern ignorant.“ Und Toleranz, so zitiert er Thomas Mann, „wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen gilt“. Darin steckt ein Appell an die Politik und Kissler liefert gleich die Handreichung mit, um die offenbar begrifflich vorhandenen Leerhülsen in weiten Teilen des politisch-medialen Establishments, aber auch im Volk der Dichter und Denker schnell zu füllen – das Buch ist selbst bei allerlei Ablenkung gut an einem Wochenende lesbar. 

Es gehört natürlich nicht nur Wissen, sondern vor allem auch Mut dazu, sich gegen den Mainstream zu stemmen. Diesen Mut, der nach Perikles schließlich das Geheimnis der Freiheit ist, zeigt der Autor, indem er sich bei seiner Analyse und den Schlußfolgerungen eindeutig auf die Seite des Naturrechts schlägt, die Humanität „in der wahrhaft menschlichen Natur“ ortet und hier Zeugen von Cicero bis Benedikt XVI. anführt; indem er „die lange Traditionsspur muslimischer Judenfeindschaft von Mohammeds Tagen bis heute“ nachzeichnet; oder indem er die diskriminierende Naturlehre des Islam benennt, wonach die menschliche Natur (fitra) muslimisch sei und alle Nichtmuslime denaturierte Menschen seien. 

Kissler erklärt und zitiert, etwa die Virginia Declaration of Rights vom 12. Juni 1776, worin die Natur des Menschen politisch besteht und schlußfolgert: „Die Natur ist und bleibt es, die faktisch aus der Gattung der Menschen ein geschwisterliches Geschlecht macht. Wer immer dieses naturrechtlich verstärkte Band der Sympathie durchtrennt, mit Machete, Kalaschnikow oder Haß, der verdient nicht, ein Mensch zu sein“. Das sind starke, aber wohlbegründete Worte. 

Kisslers politische Conclusio lautet: Der Westen ist ein „jüdisch-christliches Projekt mit ganz entscheidender Hebammenkunst durch die alten Griechen und Römer bei zeitweiliger arabischer Assistenz“, und „unauslöschbar eingeschrieben“ sei dem westlichen Prinzip, „auch in einem postchristlichen Äon: Der Staat darf über die Religion, die Religion nicht über den Staat bestimmen. Es kann keinen Gottesstaat geben.“ Das ist de facto eine glatte Absage an das gesellschaftliche Projekt namens Islam. 

Denn diese Religion ist eine politisch-religiöse Ideologie mit der „Tendenz, Religion in Tyrannei zu verwandeln“, und säkularisierende Reformer sind allenfalls „honorige Ausnahmen“. Man könnte sich vielleicht noch ein Kapitel über das Dhimmitum (die Art und Weise, wie Nichtmuslime gemäß dem Koran und der Scharia leben und dienen sollen) oder auch ein eigenes Kapitel über den Stellenwert der Frau im Islam wünschen. Aber das wäre Kür. 

Die Stärke des Buches liegt in der schlüssigen Begründung, warum das Menschenbild unserer freiheitlich-westlichen Welt nach wie vor zukunftsträchtiger ist als der Islam – weil es menschlicher ist.

Alexander Kissler: Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muß. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2015, gebunden, 184 Seiten, 17,99 Euro