© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/15 / 23. Oktober 2015

Köln, Dresden und politische Gewalt
Die Lage wird unruhiger
Dieter Stein

Hoffentlich bleibt die brutale Messerattacke auf die parteilose Kölner Politikerin Henriette Reker die Einzeltat eines geistig und politisch Verirrten. Die Schwerverletzte siegte am Sonntag und ist die neue Oberbürgermeisterin. Es war selbstverständlich, daß Politiker aller Parteien von der Linken bis zur AfD diese Tat verurteilten. 

Weniger deutlich, genauer gar nicht zu hören, sind Solidaritätsbekundungen mit einem am Montag in Dresden von linksradikalen Chaoten schwer verletzten Pegida-Demonstranten. In vielen Presseberichten wird sogar verschwiegen, welcher Gruppe Opfer und Täter angehören. Es wird der Eindruck erweckt, als handele es sich beim Verletzten gar um ein Opfer wildgewordener Pegida-Anhänger.

Die Stimmung auf den Straßen verschärft sich. Der Ton wird rauher. Die hitzigere Atmosphäre bei den Zehntausenden, die in Dresden am Montag wieder auf die Straße gingen, erklärt der Politikwissenschaftler Werner Patzelt damit, daß „das Maß an Verbitterung und Zorn“ steige, weil die Demonstranten das Gefühl hätten, die ganze Zeit recht gehabt zu haben, „wenn in der Asylpolitik jetzt der Bundestag beschließe, was sie vor einem Jahr schon gefordert haben“. Und dafür seien sie „als Faschisten und Rassisten beschimpft worden“.

Wenn Politiker Bürger, die diesen ungebremsten Ansturm illegaler Einwanderer kritisieren, pauschal als Hetzer und Ausländerfeinde beschimpfen, gießen sie Öl ins Feuer. Die Wut der Bürger steigt, wenn der Eindruck entsteht, daß in einer Demokratie nicht alle Seiten gleichberechtigt zu Wort kommen. Wenn gar der Eindruck entsteht, der Bundestag stehe in dieser Frage nahezu geschlossen gegen einen wachsenden Teil des eigenen Volkes. Aber auch die Kritiker drohen jedes Maß zu verlieren: Der Auftritt des Schriftstellers Akif Pirinçci bei Pegida sorgte für einen handfesten Eklat. Seine maßlosen Attacken gegen Grüne und Moslems wurden selbst den Pegida-Demonstranten zuviel, und er mußte vorzeitig die Bühne verlassen. Ich selbst bedaure, daß wir eine Lesung aus seinem neuen Buch mit vergleichbaren Passagen auf der Buchmesse ohne Erwiderung gelassen haben.

Die Chancen für eine politische Alternative sind eigentlich da. Die AfD steigt in den Umfragen zunehmend und verläßt das Tal, in das sie nach dem Essener Trennungsparteitag gefahren ist. Als bürgerliche Protestformation wird sie Erfolg haben. Der in seiner Großspurigkeit desaströse Auftritt des Thüringer AfD-Rechtsauslegers Höcke bei Günther Jauch, der mit seinen pathetischen Reden auf Demonstrationen verheerende Assoziationen weckt, wirft jedoch erneut die Frage nach dem künftigen Kurs der Partei auf.

Die Lage in Deutschland ist angesichts der anhaltend ungelösten Asylkrise besorgniserregend. Wir brauchen Stimmen der Vernunft und keine weitere Radikalisierung.