© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/15 / 23. Oktober 2015

„Es ist wunderschön hier“
Dresden: Zehntausende erinnern an die Pegida-Gründung vor einem Jahr
Cornelius Persdorf

Frank A. aus Karlsruhe hält dem ARD-Reporter seine rechte Hand hin und versucht, seinen Ringfinger zu recken. „Sehen Sie meinen Finger? Seit einem halben Jahr kann ich ihn nicht mehr strecken“, erzählt der drahtige Mann. „Vor einem halben Jahr habe ich an einer Pegida-Kundgebung in Karlsruhe teilgenommen. Wir waren wenige.“ Er hält kurz inne. „Linke Gegendemonstranten haben uns angegriffen. Ende vom Lied: Sehnenriß.“ Der Reporter nickt verständnisvoll und bedankt sich für das Gespräch. „Das bringt ihr doch eh nicht!“ brüllt ein kleiner älterer Herr, der zugehört hatte, dem ARD-Team hinterher. 

Vor der Pegida-Demonstration am Montag hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) das Organisationsteam um Lutz Bachmann als „harte Rechtsextremisten“ bezeichnet und damit die Stimmung angeheizt. Bachmann griff diese Äußerung in seiner Eingangsrede auf dem Theaterplatz genüßlich auf: „Unser Bundesinnenminister Thomas de Malheur“, spottete Bachmann, müsse mit einer Anzeige wegen Verleumdung rechnen. „Niemand aus Pegidas Organisationsteam ist je wegen einer rechtsextremen Straftat verurteilt worden“, begründet er den Schritt. Mit ähnlicher Häme bedachte Bachmann „Silvio Soundso“ vom „Bunten Bündnis“, womit er die Gegendemonstranten meinte, die sich auf der Augustusbrücke versammelt hatten. Zu keinem Zeitpunkt gelang es den Pegida-Gegnern, die Kundgebung zu stören. Bei genauem Hinhören ließ sich ein Wechsel aus deutschem Hiphop, einer heiseren Männerstimme und einer schrillen Frauenstimme vernehmen, die von „erfolgreichem Protest“ und „Sitzblockaden“ sprachen. 

Der Platz vor der Semperoper war bis auf einen Zugang in Richtung Zwinger von der Polizei abgeschirmt, mehrere Hundertschaften waren im Einsatz. Die Beamten blickten gelassen, offensichtlich rechneten sie nicht mit Übergriffen. Tatsächlich zeichnete sich zunächst keinerlei Unfrieden ab. Mit jedem Applaus und jedem Sprechchor („Merkel muß weg“) besserte sich die Stimmung. „Es ist einfach wunderschön hier in Dresden. Ich glaube, ich ziehe bald hierhin“, sagte Nicolai R. aus Darmstadt. „Egal ob Darmstadt oder Frankfurt: Noch nie habe ich so viele Deutsche auf einem Platz gesehen. Und dann auch noch so stolz bekennende Deutsche!“ 

Der Blick des kaum 20jährigen schweifte über das Fahnenmeer aus Deutschlandfahnen, den Fahnen mehrerer Bundesländer und sogar einer Flagge Japans. Plötzlich verstummt Nicolai beim Anblick zweier schwarzer Flaggen. „Die sind wohl vom ‘Dritten Weg’. Das sind Rechtsradikale“, sagt er mit Blick auf die Jugendlichen, die sich unter den Fahnen fröhlich unterhalten. Anspannung und Mißtrauen herrschte plötzlich auf dem  König-Johann-Denkmal mitten auf dem Platz, das sich als bequeme Loge erwies. 

Pegida-Anhänger wird schwer verletzt

„Ich will die Rechtsradikalen hier nicht haben! Die sollen ihre eigene Demonstration organisieren“, ereifert sich die quirlige Christa A. aus Bautzen. Wie zum Trotz bahnen sich zwei bullige Jugendliche ihren Weg über die steilen und hohen Stufen des Denkmals. Einer trägt eine schwarze Jacke, auf der in Frakturschrift „Sächsische Schweiz“ stand. „Das sind Skinheads“, murmelt Nicolai. Ein Reporter-Team des SWR taucht in Sichtweite auf. Die gemischte Gruppe auf dem Reiterdenkmal erkennt sofort die Gefahr, daß die schwarzgekleideten Neuankömmlinge mit ihren Fahnen und Transparenten die Veranstaltung diskreditieren könnten: „Tun sie es nicht, dort ist der öffentliche Rundfunk! Wir wollen diese Parolen hier nicht!“, rief eine bisher unauffällige Deutsch-Chilenin mit Baden-Württemberg-Fahne. Einsichtig geben die Männer ihren Versuch auf, das Transparente auszurollen. 

Bachmann hatte in der Zwischenzeit behauptet, die Ordnungsbehörden würden das Fassungsvermögen des Theaterplatzes auf 39.000 schätzen, und sprach selbst von 30.000 Zuhörern. Tatsächlich war der Platz gedrängt voll, nur hinten blieb Spielraum. Über Spielraum redete auch Vocenzo Solfo, ein Vertreter der italienischen Rechtspartei Lega Nord, der mittlerweile am Rednerpult stand: „Wir wollen die Zusammenarbeit mit Pegida. Wir sind für ein Netz europäischer Patrioten“, rief der junge Italiener mit dem Pferdeschwanz. Er berichtete vom Plan eines Netzwerks aus „Jungen Patrioten Europas“. Wie weit sich der Pegida-Protest im europäischen Ausland verbreitet hat, verdeutlicht auch der Vortrag von Alicia, der Organisatorin des polnischen Pegida-Ablegers. „Noch ist Europa nicht verloren, solange wir zusammenhalten!“ rief die angriffslustige Polin in Abwandlung des ersten Verses der polnischen Nationalhymne. 

Als schließlich der deutsch-türkische Autor Akif Pirinçci seinen am Ende von Bachmann abgebrochenen Vortrag über die Zukunft Europas unter Verwendung seiner typischen Anal-Metaphern und eines KZ-Vergleichs hielt, wandten sich die am Rande der Kundgebung versprengten Gegendemonstranten vom Theaterplatz ab und beschäftigten sich mit sich selbst: Dicht bei der Altstadtgalerie tanzten junge Linke gebremst ekstatisch zu Reggaeton-Musik. Auf die Frage, warum sie das Interesse an Pegida trotz noch anstehender Redner schon verloren hätte, antwortete die 23 Jahre alte Karin: „Ach, wir performen jetzt lieber.“              

Doch es blieb nicht überall so friedlich. Im Laufe des Abends kam es zu zahlreichen Angriffen von Linksextremisten auf Polizisten und Demonstranten. Dabei wurde ein Pegida-Anhänger schwer verletzt.