© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/15 / 23. Oktober 2015

„Die Zahlen müssen weniger werden“
Asylkrise: Angesichts der wachsenden Probleme bei der Unterbringung von Flüchtlingen gerät der Familiennachzug in den Blick
Christian Schreiber

Altkanzler Gerhard Schröder würde wohl anmerken, daß die Party vorbei sei. Fast täglich werden die Flüchtlingszahlen für das laufende Jahr nach oben korrigiert, was 2016 sein wird, ist völlig offen. Und nun hat auch noch die Debatte um den Familiennachzug eingesetzt. Denn was passiert, wenn jene, die tatsächlich Asyl erhalten, ihre Familie nachholen wollen?

Als einer der ersten forderte bereits Anfang des Monats der Städte- und Gemeindebund, den Familiennachzug zu beschränken. Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung, bei weit über einer Million Asylbewerbern sei zumindest ein zeitliches Moratorium nötig. Landsberg schloß ferner eine Änderung des Grundgesetzes nicht aus. Es müsse dahingehend angepaßt werden, daß Personen aus sicheren Herkunftsländern ihren Asylantrag nur aus diesen Ländern heraus stellen könnten.

Unterdessen streiten Politiker und Wissenschaftler über die mögliche Zahl von Familiennachzüglern. Laut dem früheren Präsidenten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Manfred Schmidt, machten im Durchschnitt je Flüchtling drei Familienangehörige einen Anspruch auf Nachzug geltend. Daraus ergebe sich ein „Nachzugspotential“ von 600.000 Menschen allein aus Syrien, kalkulierte der CSU-Politiker Johannes Singhammer im Spiegel.

Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) schlug unterdessen vor, den Familiennachzug zeitlich zu strecken. „Die Situation wird für uns nicht leichter, wenn wir Familien nun in großer Zahl ins Land holen. Das muß auf Jahre gestreckt werden“, sagte Bouffier der Welt.

Zudem sollte man sich auf die Kernfamilie konzentrieren, „also Ehepartner und Kinder“, schlug er vor. Familienmitglieder, die in einer sicheren Lebenssituation sind, „also etwa in einem Lager in der Türkei“, sollten frühestens ein Jahr nach der Anerkennung eines Asylbewerbers nachkommen dürfen. Anders verhalte es sich mit Familienmitgliedern, die verfolgt werden, so der CDU-Politiker. Er warnte davor, daß der Nachzug völlig ungeplant vonstatten gehe. Deutschland könne nicht unbegrenzt aufnehmen; „die Zahlen müssen weniger werden“, forderte der hessische Ministerpräsident.

Eins wurde in der Diskussion in den vergangenen Tagen deutlich: Quer durch alle Parteien herrscht Unsicherheit und Uneinigkeit. „In Syrien herrscht Bürgerkrieg, es geht darum, den Menschen zu helfen“, sagte der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir. Seine Partei fordert, „daß man Alte und Kranke“ nicht alleine zurücklassen dürfe. Bisher gilt die Regel, daß anerkannte Asylbewerber lediglich die sogenannte Kernfamilie nachholen dürfen. Darunter fallen Kinder und Ehepartner von in Deutschland lebenden Deutschen und Ausländern. Eltern können nur dann  nachkommen, wenn das in Deutschland lebende Kind minderjährig ist. Dies trifft allerdings gerade für eine Vielzahl syrischer Flüchtlinge zu. 

Der sächsische CDU-Landtagsabgeordnete Alexander Krauß will dem einen Riegel vorschieben. Eltern minderjähriger Ausländer sollten nicht mehr das Recht haben, nach Deutschland zu ziehen. „Wer sein Kind allein um die weite Welt reisen läßt, sollte dafür nicht auch noch mit einer Aufenthaltserlaubnis belohnt werden“, sagte Krauß der Dresdner Morgenpost. Der sozialpolitische Sprecher der CDU-Fraktion forderte außerdem, bei Anträgen strenger zu prüfen, ob es sich um Zwangsehen oder arrangierte Partnerschaften handelt: „Auch dann darf es nicht zu einem Familiennachzug kommen.“

Mehr Gelder für die Herkunftsländer gefordert

Die Linksfraktion im sächsischen Landtag reagierte erwartungsgemäß und nannte Krauß „einen Asozialpolitiker, der Flüchtlinge unter Generalverdacht“ stelle. Unterstützung erhielt der Sachse aber aus Bayern. Aufgeschreckt von fallenden Umfragewerten suchen CSU-Chef Horst Seehofer und seine Mitstreiter den Schlagabtausch mit Kanzlerin Angela Merkel. 

In einem Strategiepapier fordern die Bundestagsabgeordneten Stephan Mayer und Florian Hahn, den Familiennachzug von Flüchtlingen vorübergehend auszusetzen. Nur durch diese Maßnahme sei die Versorgung und Unterbringung der Schutzbedürftigen noch zu gewährleisten. Die Abgeordneten schlagen außerdem vor, Migranten sollten „EU-weit lückenlos registriert“ und eine Identitätstäuschung sowie -verschleierung in Asylverfahren „härter bestraft“ werden und „Aufnahmeländer wie die Türkei, Jordanien und Libanon finanziell besser unterstützt werden“.  Deutliche Kritik wurde auch am Kurs der Kanzlerin geübt: „Die Forderung nach Fluchtursachenbekämpfung ist ein Ablenkungsmanöver. Wir müssen uns jetzt auf die Eindämmung der konkreten Flüchtlingsströme konzentrieren“, heißt es in dem Papier.