© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/15 / 23. Oktober 2015

„In meinen Augen sind das Helden!“
Asylkrise I: Ein bizzarer Kongreß in den Münchner Kammerspielen feiert Schlepper und Schleuser als Fluchthelfer
Lion Edler

Schon der Name des Kongresses, der am vergangenen Wochenende in den Münchner Kammerspielen stattfand, ließ aufhorchen: „Internationale Schlepper- und Schleusertagung“. Was das soll, erklärt die Internetseite des Theaters: Ziel der Tagung sei eine „Image-Aufwertung sowie die damit einhergehende Neubewertung der Dienstleistungen Schleppen und Schleusen“. Eine „performative Inszenierung als Tagung“ diene dabei „als Mittel der Zuspitzung“. Aufgrund solcher Formulierungen war in den Medien von einem „Satire-Projekt“ die Rede. Also kein Grund zur Aufregung?

In der Union sieht man das anders. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Uhl zeigte sich im Vorfeld empört. „Angesichts unzähliger toter Kinder, Frauen und Männer in den Fängen von Schleusern“ sei die Veranstaltung „zynisch und konterkariert Maßnahmen, diesen Banden das Handwerk zu legen.“ Pikant: Die Stadt München finanziert den Kongreß ebenso wie die Europäische Union.

Auf dem Kongreß wird indessen deutlich: Das ist keine Satire – sie meinen es ernst. „Ich benutze ganz bewußt das Wort ‘Fluchthelfer’“, sagt der Journalist Sammy Khamis bei einem Podium zum Thema „Praxis“. Die Argumentation des Kongresses: Wenn Schleuser die Asylanten human behandelten und nicht kommerziell agierten, dann sei das nicht verwerflich. Ähnlich sieht es sein Mitdiskutant Kurto Wendt, der einen illegalen Autokonvoi organisierte, um Asylsuchende von Ungarn nach Österreich zu transportieren. Wendt kann daran nichts Schlimmes finden. Der Staat würde „ein Verbrechen konstruieren, wo nur selbstverständliche Unterstützung der Fall ist.“

Die Theaterkünstlerin Natalie Assmann zeigte sich erfreut über die medialen Erfolge der linksradikalen Schlepper: „Die öffentliche Diskursverschiebung, die stattfindet durch die mediale Öffentlichkeit, ist das Beste, was uns passieren konnte.“ Unterstützung von Schleusern sei wegen dieser Öffentlichkeit nicht mehr tabuisiert – sogar Mercedes-Fahrer mit Anzug würden sich in Internet-Videos als Schleuser bekennen. Assmann spottete über „die Imagination der Aufrechterhaltung einer staatlichen Ordnung“. Nun plant Assmann eine weitere Medienaktion, bei dem sie in Belgrad in ein Schiff in der Donau einsteigen will, um in Passau wieder auszusteigen. Die Bilder müßten in die Medien gelangen, „um zu zeigen, daß es geht.“

Verständnis für Schleuser zeigte auch ein Rechtsanwalt für Asylrecht, Axel Nagler. Während man einerseits die „Willkommenskultur“ predige, gehe es andererseits „denen an den Kragen, die die Ankunft dieser Menschen in Europa erst möglich machen“. Nagler erregt sich über „enorme politische Brandstifterei“, fordert Straffreiheit für Schleuser. „In meinen Augen sind das Helden!“ sagt Nagel unter dem Applaus des linksalternativen Publikums.

Der Schleuserkongreß war Teil des „Open Border Kongreß“, also eines Kongresses für die Abschaffung von Grenzen, der ebenfalls in den Münchner Kammerspielen stattfand. In einer Veranstaltung mit dem Titel „Deutschland postmigrantisch“ beklagte sich die Berliner Ethnologin Manuela Bojadžijev, daß in der Asyldebatte „gefährlich oft von einer Krise die Rede ist“. Man befinde sich jedoch „nicht in einer Flüchtlingskrise, sondern in einer Krise der Migrationspolitik“. Auch Bojadžijev will lieber von „Fluchthelfern“ anstatt von Schleppern sprechen. Auf ihren Vortrag folgte eine Diskussion, in der sich die Schriftstellerin Jagoda Marinic skeptisch zur „Willkommenskultur“ äußerte. Die „kulturpolitisch Abgehobenen“ würden schon vom „Postmigranten“ sprechen, obwohl es immer noch kaum Frauen und Einwanderer in den Gemeinderäten gäbe. Auch der Büchermarkt erwecke – abgesehen von den vergangenen drei Jahren – den Eindruck, als sei Deutschland „eine migrantenfreie Zone“.

Da das Podium sich im Kern einig war, schienen sich die Diskutanten selbst ein wenig zu langweilen. Um etwas Würze in die Diskussion zu bringen, kamen manche Podiumsteilnehmer immer wieder auf die Schlagworte „Pegida“, „AfD“ und „Sarrazin“ zu sprechen – doch die Moderatorin schien dann das Thema wechseln zu wollen. Die Pegida-Bewegung habe erst dazu geführt, daß es Demonstrationen für „Weltoffenheit“ und die daraus folgende „Willkommenskultur“ gegeben habe, sagte Marinic. Das schien der Moderatorin nicht zu gefallen. „Oh bitte, das streichen wir jetzt!“ sagte sie nur halb scherzend. 

Der Soziologe Armin Nassehi beklagte den folkloristischen Flüchtlingskult ebenfalls als „Entpolitisierung des Problems“. Dennoch habe Deutschland eine „ausgesprochen erfolgreiche Integrations-Situation“, „da können wir uns durchaus etwas drauf einbilden“. Doch Nassehi scheint zum Dialog mit jenen bereit, die das anders sehen. Es brauche eine „realistische Einschätzung des rechtsintellektuellen Diskurses“. Diese Rechtsintellektuellen argumentierten gut, auch wenn die Argumente falsch seien: „Das muß man auch ernst nehmen – vor allem, weil sie anfangen zu argumentieren und nicht mehr nur zu hetzen.“