© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/15 / 23. Oktober 2015

Drohung mit der Notbremse
Asylkrise II: Die in der Bundesregierung diskutierten Transitzonen an den Grenzen könnten den Flüchtlingsdruck mindern
Dirk Meyer

In der Diskussion um Transitzonen werden derzeit die unterschiedlichen Positionen zur Flüchtlingspolitik deutlich: für die einen Internierungslager, für die anderen eine Möglichkeit, den Zustrom von Flüchtlingen effektiv zu begrenzen. Dabei sind die Deutschland erreichenden Flüchtlingsströme das Ergebnis eines heute praktizierten dreifachen Verfassungsbruchs. 

Der Schengener Grenzkodex gründet auf dem Grundsatz: Schutz der EU-Außengrenzen gegen Verzicht auf Grenzkontrollen an den Binnengrenzen. Nur in diesem Zweiklang kann die Personenfreizügigkeit funktionieren. Mangels EU-Unterstützung und einhergehender Überforderung entfällt derzeit ein wirksamer Schutz der Außengrenzen in Italien und Griechenland. Die an der Grenze zu Österreich wieder eingeführten Grenzkontrollen sind deshalb eine logische Folge und Notwehrmaßnahme, im Schengener Abkommen aber so nicht vorgesehen. Allerdings ist dort für den Fall einer „schwerwiegenden Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit“ (Paragraph 23 Abs. 1 Schengener Grenzkodex) die Wiedereinführung befristeter Kontrollen erlaubt. Sodann ist entsprechend Art. 13 Dublin-III-Verordnung derjenige Mitgliedstaat für das Asylverfahren zuständig, über den der Flüchtling die EU erstmals betritt. Insbesondere findet hier die Registrierung statt. Eine Durchleitung von Flüchtlingen aus Italien und über die Balkanstaaten steht dem Vertrag von Lissabon entgegen. Schließlich kann gemäß Art. 16a Abs. 2 Grundgesetz (GG) Asylschutz nicht beanspruchen, „wer aus einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaften … einreist“. Vielmehr ist der unerlaubt eingereiste Ausländer zurückzuschieben (Paragraph 57 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz, AufenthG). Die Deutschland (über)fordernden Flüchtlingsströme sind das Ergebnis eines illegalen Zusammenspiels verschiedener europäischer Mitgliedstaaten und der deutschen Regierung.

Damit erscheinen nationale Transitzonen in einem völlig neuen Licht. Sie sind eine Abwehrmaßnahme gegen Rechtsstaatsbruch und nationale Überforderung. Was kennzeichnet diese mit der Reform des Asylrechts 1993 durch das sogenannte Flughafenverfahren (Paragraph 18a Asylverfahrensgesetz, AsylVfG) eingeführte Spezialnorm? Die Besonderheit besteht in der Prüfung des Asylanspruches vor der Einreise nach Deutschland. Das Verfahren ist mit gutem Grund auf zwei Fallgruppen beschränkt: im Fokus stehen zum einen Flüchtlinge aus einem sicheren Herkunftsstaat, zum anderen diejenigen ohne gültigen Paß. So geben über 70 Prozent der Asylbewerber an, keine Dokumente zu besitzen. Für beide Gruppen wird eine hohe Ablehnungsquote angenommen. Zwei Ziele stehen im Zentrum: eine mißbräuchliche Inanspruchnahme zu verhindern und politisch Verfolgten Schutz zu gewähren – ökonomisch gesehen eine staatliche Ressourcenschonung. In einem örtlich und zeitlich konzentrierten Verfahren sollen (Zeit-)Effizienz und ein hohes Maß an Wirksamkeit gewährleistet werden. Bei Ablehnung kann eine Rückführung in das sichere Herkunftsland oder in den sicheren Drittstaat erfolgen, über den die Einreise versucht wurde. Die ansonsten dem regulären Asylverfahren ähnlichen Strukturen entsprechen den Anforderungen der Genfer Konvention, der EU-Asylverfahrensrichtlinie 2013 sowie der Dublin-III-Verordnung, insbesondere auch was die Rechtsschutzbestimmungen betrifft. Die durch die exterritoriale Unterbringung der Flüchtlinge bedingte Abschottung wird durch das Verfassungsgericht nicht als unrechtmäßige Freiheitsbeschränkung bewertet.

Ein wesentlicher Vorteil bestünde in der Anwendung des derzeit rechtswidrig mißachteten Durchleitungsverbots von Flüchtlingen sowie in der praktischen Anwendung des Einreiseverbots aus sicheren Drittstaaten (Paragraph 18 Abs. 1 lit 1 AsylVfG). Mangels europäischer Verteilungsquoten könnte Deutschland so mit der Notbremse drohen und den Druck erhöhen. Auch rechtfertigt der relativ kurze Aufenthalt in diesen Zonen niedrigere Unterbringungsstandards.

Relativ kurzer Aufenthalt

Zum Schutz der Flüchtlinge kommt das Verfahren nicht zum Tragen, wenn abzusehen ist oder sich herausstellt, daß die engen Fristen nicht eingehalten werden. Nach einer unverzüglichen Antragstellung hat das Bundesamt zwei Tage Zeit für eine Einreiseentscheidung. Einem innerhalb von maximal sieben Tagen gestellten Eilantrag des abgelehnten Antragstellers muß binnen 14 Tagen ein Gerichtsentscheid folgen. Demnach ist das Verfahren der Einreiseprüfung in der Transitzone auf insgesamt 23 Tage begrenzt. Danach sind die Einreise und das normale Asylverfahren zu gewähren. Soweit im Fall einer Abschiebung ein weiterer Aufenthalt in der Transitzone notwendig wird, dürfen gemäß Paragraph 15 Abs. 6 AufenthG ohne richterliche Anordnung 30 Tage nicht überschritten werden. Das beschleunigte Verfahren setzt die Behörden unter starken Zeitdruck. Zur Vermeidung von Eilanträgen gegen die Einreiseverweigerung und entsprechenden gerichtlich festgestellten Einreiseanordnungen wird die Behörde im Eilverfahren nur offensichtlich unbegründete Anträge abschlägig bescheiden. Alle anderen Verfahren dürften deshalb nach bewilligter Einreise im normalen Asylverfahren fortgeführt werden.

Als Problem der Praxis mag der weiterhin kaum zu verhindernde illegale Grenzübertritt gelten, da dann bereits das deutsche Territorium erreicht wurde und demnach keine Einreise mehr verweigert werden kann. Allerdings bietet das Gesetz die Möglichkeit der Zurückschiebung im grenznahen Raum (Paragraph 18 Abs. 3 AsylVfG), so daß diese Personen in die exterritoriale Transitzone überführt werden können.

Fazit: Das Sonderverfahren kombiniert eine überaus zügige Vorauswahl derjenigen Flüchtlinge, die den politischen Schutzstatus ganz offensichtlich nicht erfüllen. Es ermöglicht einen Kompromiß zwischen dem rechtlich gebotenen Einreiseverbot und humanitären Überlegungen. Die Rückschiebung in den sicheren Drittstaat (Österreich) macht anderen EU-Staaten Druck, um zu einer europäischen Lösung des Problems zu gelangen. Nationale Transitzonen sind deshalb einen Versuch wert.