© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/15 / 23. Oktober 2015

Kirchners Erbe gesucht
Argentinien: Im Rennen um das Präsidentenamt spiegelt sich ein höchst gespaltenes Land wider
Lukas Noll

Wer wird der Nachfolger von Cristina Fernández de Kirchner? Argentinien wählt am 25. Oktober einen neuen Präsidenten – und die Entscheidung wird spannend. Zwar liegt das regierungsnahe Parteienbündnis „Frente para la Victoria“ trotz wirtschaftlicher Talfahrt und Korruptionsskandalen in allen Umfragen vorne. Doch kommt Kandidat Daniel Scioli derzeit weder auf 45 Prozent, noch dürfte er zehn Prozentpunkte vor seinem nächstplazierten Kontrahenten liegen – die Stichwahl am 22. November droht.

Ob es zum „Balotaje“ kommt, darüber streiten sich die Demoskopen noch. Viele Demoskopen, wie in einer von der Tageszeitung Clarín ausgegebenen Umfrage, prognostizieren eine gespaltenere Wählerschaft: Scioli dürfte demzufolge nur auf 34 Prozent, seine Gegenkandidaten, der konservative Mauricio Macri und Sciolis ehemaliger Parteigänger Sergio Massa, auf 25 respektive 17 Prozent kommen. 

Weil sich Staatspräsidentin Kirchner nach zwei Amtszeiten nicht mehr zur Wahl stellen darf, munkeln viele Argentinier, sie schicke Scioli nur vor, um hinterher doch das Ruder zu übernehmen. 

Seit zwölf Jahren bewohnt die als „Schwarze Witwe“ verspottete Kirchner den Präsidentenpalast. Erst als die Primera Dama ihres verstorbenen Gatten, Ex-Präsident Nestor Kirchner, nach dessen Tod selbst als Präsidentin. Ihre beiden Amtszeiten waren vor allem von wirtschaftlichem Abschwung gekennzeichnet: Kirchner legte sich mit den Kreditgebern an und ließ Argentinien in die Insolvenz schlittern und verstand es nicht, gegen Arbeitslosigkeit und Inflation vorzugehen und ausländischen Investoren Anreize zu setzen.

 Doch trotz aller Unzufriedenheit mit der Regierung setzt Kirchnerismo Scioli ebenfalls auf den sozialpolitischen Populismus und die protektionistische Wirtschaftspolitik seiner Vorgängerin.

 Der 58jährige kennt sich mit den Zirkeln der Macht in Buenos Aires aus: Nach einer Karriere als Motorbootrennfahrer wurde er 1997 in den Kongreß gewählt. Unter Nestor Kirchner war Scioli von 2003 bis 2007 Vizepräsident Argentiniens, um im Anschluß Gouverneur der bevölkerungsreichen Provinz Buenos Aires zu werden. 

Sein wichtigster Gegenkandidat, Mauricio Macri, dürfte ihm daher kein Unbekannter sein: Der Politiker der liberal-konservativen Propuesta Republicana (PRO) gelangte genau zeitgleich ins Bürgermeisteramt der Hauptstadt Buenos Aires. Bemerkenswert ist an Macri vor allem die Tatsache, daß er keiner der beiden peronistischen Strömungen angehört. Hatten sich Links- und Rechtsperonisten in den vergangenen Jahrzehnten die Klinke in die Hand gegeben, könnte Macri damit eine neue Flexibilität ins politische System Argentiniens bringen.