© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/15 / 23. Oktober 2015

CD-Kritik: Goldberg-Variationen
Kanonisches
Jens Knorr

Sie zählen zu den kanonischen „music papers“ der europäischen „paper music“, und sie sind seit Tureck und Gould unserem kulturellen Gedächtnis als Gipfelwerk insbesondere der Klaviermusik unverlierbar eingeprägt. Was Wunder, daß jeder Pianist trotz Höhenangst vor Johann Sebastian Bachs „Goldberg-Variationen“ diesen Gipfel ersteigen will, um sich gleich den Großen vor ihm ins Gipfelbuch eintragen zu können.

Der französische Pianist Alexandre Tharaud (46) hat sich Zeit genommen und im Anschluß an eine Serie von Konzerten die „Aria mit verschiedenen Veränderungen“ auf Tonträger eingespielt. Auch Tharaud verfällt den Freuden des Lasters, sich selbst in dem erstmals 1741 verlegten Notentext wiederfinden zu müssen, wie auch den Leiden der Tugend, sich ihn nicht gänzlich einverleiben zu dürfen. Er hält sein Nachdenken immer in Spielfluß, befragt und beantwortet, ohne zu stocken. Die Schwierigkeiten bei der Übertragung der für zwei Manuale geschriebenen Komposition auf die Klaviatur des Steinway sind Tharauds Interpretation nicht anzuhören, die Übergriffe auf der beiliegenden DVD schön anzusehen.

Die Mystifikationen der Variationen schreibt Tharaud virtuos fort. Warum nur fällt es selbst diesem sensiblen Künstler so schwer, ihnen den unverwechselbaren eigenen Anschlag zu entbinden?

Bach Goldberg-Variationen CD/DVD Erato 2015  www.alexandretharaud.com