© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/15 / 23. Oktober 2015

Er wollte Wagner übertrumpfen
Odyssee-Tetralogie: Zum hundertsten Todestag des vergessenen Komponisten August Bungert
Wiebke Dethlefs

So gut wie keinem Musikfreund ist sein Name noch bekannt, keines seiner Werke ist auf Tonträger erhältlich, obwohl der Komponist August Bungert mit einem beispiellosen musikalischen Projekt Furore machte: dem vierteiligen Opernzyklus „Homerische Welt“.

Wie so viele Musiker seiner Epoche war er zutiefst von Richard Wagner fasziniert und beeinflußt. Im Gegensatz zu vielen (und heute meist vergessenen) seiner Komponistenkollegen, die von dem übermächtigen Schatten Wagners erdrückt wurden, entwickelte Bungert das ausgeprägte Selbstbewußtsein, mit eigenen Werken den Bayreuther Meister im Anspruch noch übertreffen zu können.

Der 1845 in Mülheim/Ruhr geborene Bungert studierte unter anderem am Pariser Konservatorium, nach 1874 bei Friedrich Kiel in Berlin und gewann 1878 mit seinem Klavierquartett Es-Dur op.18 einen Preis. Das von Brahms sehr geschätzte Werk war übrigens das einzige Bungerts, von dem bis in die jüngste Zeit zumindest eine Rundfunkaufnahme existierte.

1880 zog Bungert nach Italien, lernte dort die Schriftstellerin Carmen Sylva kennen, wie sich die rumänische Königin Elisabeth mit Pseudonym nannte; sie wurde seine Mäzenin und Muse. Bungert schuf über zweihundert Lieder nach ihren Texten. Durch Carmen Sylva erhielt er Zugang zu Adelskreisen, er wurde als Pianist und Liedbegleiter gerngesehener Gast an europäischen Höfen. Auch schenkte sie ihm 1894 eine Villa in Leutesdorf am Rhein, die Bungert bis zu seinem Tod am 26. Oktober 1915 bewohnte.

In Leutesdorf entstand seit 1890 Bungerts Hauptwerk, mit dem er Wagner übertrumpfen oder zumindest gleichziehen wollte, der Musikdramenzyklus „Homerische Welt“. Zwischen 1896 und 1903 wurden die vier Opern „Kirke“, „Nausikaa“, „Odysseus Heimkehr“ und „Odys-seus Tod“ einzeln uraufgeführt. Bungert selbst schuf die Libretti, bei denen die Verse teils in Endreime gefaßt beziehungsweise in griechischer Metrik gehalten sind. Vier geplante weitere Musikdramen aus der „Ilias“ blieben wegen der schwindenden Gesundheit Bungerts im Entwurf liegen. Für diesen riesigen Zyklus wollte Bungert ein eigenes Festspielhaus in Bonn errichten, wo ausschließlich seine Opern aufgeführt werden sollten.

Die Odyssee-Tetralogie wurde bei den einzelnen Uraufführungen mit großem Erfolg aufgenommen, doch geriet sie mit dem Tode des Komponisten rasch in Vergessenheit. Vielleicht lag es an der – gemessen an der Harmonik des späten Wagner und Bruckners – doch reichlich konventionellen, blutarmen Tonsprache Bungerts, der keineswegs Wagners Motivtechnik und dessen „unendliche Melodie“ übernimmt und sich sogar wieder der alten Nummernoper annähert.

1909 entstand das überlange biblische Oratorium „Mysterium“, von dem bei Youtube ein Mitschnitt einer Rundfunkproduktion existiert. Kurz vor seinem Tode komponierte Bungert anläßlich der ersten Luftfahrten der Zeppeline die Symphonie „Genius Triumphans – Zeppelins große Fahrt“, in deren frischer Haltung sich der Komponist vom technischen Fortschritt seiner Epoche musikalisch fortreißen läßt.

Doch auch diese Schöpfung wirkt – gemessen an den musikalischen Errungenschaften der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg – mehr als konventionell. Vielleicht hatte Bungert es gespürt, daß er, sein Leben lang der klassischen Antike und ihrer Ästhetik verhaftet, sich mit dem Beginn des großen Völkerringens überlebt hatte, darin seinem großen rheinischen Landsmann Max Bruch ähnlich.

Beigesetzt ist Bungert auf dem Friedhof der Neuwieder Feldkirche; sein Nachlaß wird im Stadtarchiv Mülheim an der Ruhr aufbewahrt. In einem ausgesprochen kritischen Nachruf in der Leipziger Neuen Zeitschrift für Musik hieß es am 4. November 1915: „Der vielfach überschätzte und nicht minder unterschätzte Dichterkomponist war eine der eigenartigsten Erscheinungen der nachwagnerianischen Zeit: ein feingebildeter und warmblütiger Künstler, der sich allzu hohe Ziele gesteckt hatte.“

2005 veröffentlichte der Musikwissenschaftler Christoph Hust seine Mainzer Dissertation „August Bungert – Ein Komponist im deutschen Kaiserreich“ im Verlag Hans Schneider (Tutzing). In dem Buch wird der geistesgeschichtliche Hintergrund von Bungerts Schaffen, vor allem die Nietzsche-Rezeption in den Odysseus-Opern breit behandelt. Wenn auch Husts Studie wegen der Unbekanntheit Bungerts kaum auf große Beachtung gestoßen ist, wird sie das gültige Standardwerk zu Mensch und Werk bleiben.