© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/15 / 30. Oktober 2015

EU hält kritischen Fortschrittsbericht zur Türkei zurück
Brüsseler Doppelmoral
Moritz Schwarz

Jetzt also ein verheimlichter Menschenrechtsbericht der EU-Kommission zur Türkei. Natürlich, im Sinne einer pragmatischen Diplomatie ist das Verschweigen hinderlicher Wahrheiten nicht nur eine läßliche Sünde, sondern mitunter sogar eine gute Tat – dann nämlich, wenn damit Schlimmeres verhindert werden kann. Aus der Sicht einer ethischen Werten verpflichteten Politik freilich stellt dies einen erheblichen Skandal dar. Er zeigt einmal mehr die Doppelmoral jener Institution, die sich sonst nur zu gerne als Hort eines geläuterten Europas geriert. Nun mag man darüber streiten, ob die Flüchtlingskrise – um deretwillen das Papier wohl verheimlicht wurde, weil man Ankaras guten Willen zu ihrer „Lösung“ braucht – ein Problem darstellt, das solches Verhalten rechtfertigt. Eher nicht, da Intransparenz in der Demokratie immer nur Ultima ratio sein darf. 

Vor allem aber zeigt der Vorgang, wie unehrlich die Debatte um die Qualifikation der Türkei für einen EU-Beitritt ist. Wenn die EU schon in Sachen Flüchtlingskrise den Bürgern keinen reinen Wein einschenkt, warum sollte sie dies dann in Sachen Beitritt tun? Der Vorgang schürt einmal mehr das Mißtrauen, sich nicht auf Brüssel verlassen zu können. Von wo aus wir schon in der Eurokrise nur das zu hören bekommen haben, was den Verantwortlichen zur Durchsetzung ihrer aktuellen Politik frommt.