© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/15 / 30. Oktober 2015

„Es ist wie im Mittelalter“
Politische Korrektheit: Der Soziologe Jost Bauch warnt, der Fall Pirinçci trage totalitäre Züge
Felix Krautkrämer

Herr Professor Bauch. Boykott durch Buchhändler, Aufruf zur Büchervernichtung, maximale soziale Ächtung: Die Reaktionen auf die Pegida-Rede von Akif Pirinçci sind nicht gerade die Methoden einer demokratischen und toleranten Gesellschaft ...

Bauch: Der Fall Pirinçci zeigt, wie schlecht es in Deutschland um die Meinungs-, aber auch um die Kunstfreiheit steht: nämlich schlecht, sehr schlecht. Wir werden gerade Zeuge einer Total-exklusion, die an Herrn Pirinçci vorexerziert wird. Politische Äußerungen führen dazu, daß er nicht nur politisch ausgeschlossen, sondern auch wirtschaftlich an die Wand gestellt und sozial geächtet wird. Und das ist der Anfang von Totalitarismus. 

Ist das nicht etwas übertrieben?

Bauch: Wir sind eine moderne, funktional differenzierte Gesellschaft, die in einzelne Funktionsbereiche unterteilt ist. Wirtschaft, Politik, Religion, Familie existieren nebeneinander und sind nicht mehr hierarchisch organisiert. Es gibt eine strikte Trennung zwischen den einzelnen Funktionsbereichen. Ich kann diese einzelnen Bereiche verlassen oder ihnen beitreten, und ich kann in verschiedenen Systemen gleichzeitig leben. Als Familienvater, Mitglied einer Partei oder Angehöriger einer Religionsgemeinschaft. Wenn ich beispielsweise aus der Religion austrete, hat das keine Folgen für mein wirtschaftliches Leben. Ich habe die Möglichkeit, aus einzelnen Rollen auszutreten. Hier setzt die Political Correctness an. Sie macht es möglich, daß jemand, der sich nicht politisch korrekt verhält, aus allen Rollen und Systemen rausgeworfen wird. 

Auch bei Eva Herman und Martin Hohmann wurden Zitate aus dem Zusammenhang gerissen, mit dem Ergebnis, daß deren berufliche Existenz vernichtet wurde.

Bauch: Diese Methode hat System, und das System hat Methode. Und zwar immer dann, wenn der Mechanismus der funktionalen Differenzierung außer Kraft gesetzt wird, so daß Menschen, die gegen gesellschaftliche und politische Tabus verstoßen, ausgestoßen werden. Das ist wie im Mittelalter, nur ohne Todesstrafe. Der von einer solchen Kampagne Betroffene verliert seine soziale Adresse. Und das passiert gerade Herrn Pirinçci: Man versucht, seine soziale Adresse zu vernichten – und zwar restlos.

Der Fall hat also eine neue Qualität?

Bauch: Ja, das hat es in der Form früher nicht gegeben. Früher konnten die Verstoßenen weggehen, zum Beispiel in ein anderes Land. Diese Möglichkeit besteht heute durch die globalisierten Medien und das Internet so gut wie nicht mehr. Das heißt, der Ausgrenzungsmechanismus ist heute sehr viel umfassender. Wer heute einmal durch die Medien genudelt wurde, ist bis ins kleinste Dorf geächtet. 

Auch Sarrazin wurde öffentlich als „stotternde Menschenkarikatur“ beschimpft, ihm sogar ein weiterer Schlaganfall gewünscht. Gibt es keine Regeln mehr, wenn eine Kampagne entfacht ist? 

Bauch: Wenn Sie exkludiert sind, sind Sie wie ein waidwundes Tier. Dann haben Sie kaum noch Möglichkeiten, sich zu wehren. Das ist ein ideales Ziel, um Aggressionen loszuwerden. Man kann draufschlagen, ohne Folgen befürchten zu müssen. Die menschliche Meute braucht ab und zu ein waidwundes Tier, das sie durch Wald und Flur hetzen kann, um relativ folgenlos Aggressionen abzubauen. 

Woher kommt diese Lust an der sozialen Zerstörung eines einzelnen?

Bauch: Der Mensch in der modernen Gesellschaft ist ein hyperangepaßtes, durchkontrolliertes Wesen, das von Verhaltensdisziplinierungen umstellt ist. Sie können ja nicht auf die Straße gehen, ohne daß Sie gleich 25 Verbotsschilder anspringen. Überall lauern Tugendwächter. Da funktioniert eine solche Kampagne wie ein Ventil. Man kann endlich mal die Sau rauslassen. Der Mensch braucht das – andere Menschen fertigzumachen, auf allen Ebenen. 

Warum funktionieren solche Kampagnen fast nur gegen konservative oder rechte Protagonisten?

Bauch: Weil die Linke kampagnenfähig ist. Wir haben in Deutschland keine kampagnenfähige Rechte. In anderen Ländern, wie der Schweiz und Österreich, ist das schon anders. Das führt dazu, daß die Linke ihre Meinung durchsetzen kann, so daß der Otto Normalverbraucher glaubt, es wäre die Meinung der Mehrheit. Und an dieser möchte er sich orientieren, das ist eine ganz normale Verhaltensweise. Genau dieser Mechanismus wird von der Linken bedient, und deswegen sind sie damit erfolgreich.






Prof. Dr. Jost Bauch, lehrt Soziologie in Konstanz, wo er selbst mehrfach in den Mittelpunkt linker Kampagnen geriet (JF 8/10). Zuletzt veröffentlichte der Vizepräsident des Studienzentrums Weikersheim 2014 das Buch „Mythos und Entzauberung. Politische Mythen der Moderne“. Im November erscheint im Gerhard-Hess-Verlag sein zusammen mit dem Staatsrechtler Karl A. Schachtschneider verfaßtes Buch „Einwanderung oder Souveränität – Deutschland am Scheideweg“. Geboren wurde Jost Bauch 1949 in Osnabrück.