© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/15 / 30. Oktober 2015

Bürgerprotest im Partyzelt
Asylkrise IV: Drei Wochen lang blockieren Anwohner im Dresdner Stadtteil Übigau mit einem Pavillon den Zugang zu einer geplanten Flüchtlingsunterkunft
Cornelius Persdorf, Dresden

Alex S. verbreitet Zuversicht. „Ein weiser Chinese hat mal gesagt: Was tun ist immer besser als nüscht tun“, sagt der junge Mann, der seit drei Wochen mit einer kleinen Gruppe Anwohnern im Dresdener Vorort Übigau mit einer Blockade gegen eine geplante Asylbewerberunterkunft in der örtlichen Turnhalle demonstriert. Viele sind an diesem bedeckten, frühen Montagnachmittag nicht in dem Protestzelt, in dem es nach alten Decken, Männern und Kaffee duftet. Die Luft ist stickig, trotz zweier offener Zeltausgänge: Durch den einen tritt man ein, den zweiten versperrt das schmale blaue Gartentor, das zur künftigen Flüchtlingsunterkunft führt. 

„Und da sollen sich bald täglich 70 Einwanderer durchquetschen“, fragt  Alex, während er sich einen zweiten Griff in die Chips-Tüte genehmigt. Er weiß: Durch den Protest der Anwohnerinitiative kommt erst einmal niemand durch das Tor auf das Gelände. „Am Ende werden es doch eh mehr als hundert!“ wirft der betagte Josef L. ein. Auf einer Sitzgruppe in der Ecke des Zeltes sitzen vier Frauen und nicken einvernehmlich. „Ich habe Angst um meine Enkelkinder, die mich regelmäßig besuchen. Wenn hier nebenan Fremde einziehen, muß ich meine zwei Kleinen nach Hause begleiten.“ Die 69 Jahre alte Sigrid D. seufzt resigniert. „Wer weiß, wie lange ich das noch kann.“ 

Ein Verletzter bei Angriff in der Nacht

Doch die Übigauer argumentieren nicht nur in eigener Sache: Sie sprechen vom maroden Dach der Halle, das nicht vor Regen schütze. Von nur zwei Toiletten für die geplanten 70 Asylbewerber. Von dem Leben auf viel zu engem Raum ohne jede Privatsphäre. „Die Halle ist als Flüchtlingsunterkunft völlig ungeeignet“, stellt der inoffizielle Kopf der Initiative „Wir sind Übigau“ fest. Er nennt sich Tom. Ganz in der Nähe befinde sich ein Gebäude des Roten Kreuzes, das besser in Schuß sei und auch mehr sanitäre Anlagen habe. Das Haus gehöre ebenso wie die Turnhalle der Stadt, erzählt er. 

Der Kindersport sei inzwischen gekippt worden. „Was nicht paßt, wird passend gemacht“, raunt es durch das Zelt. „Die haben hier extra die Bäume weggeflext, um einen zweiten Eingang schaffen zu können“, berichtet Tom und zeigt auf den Kahlschlag auf der Südseite des Grundstücks, der beweist, wie schnell und gründlich Baubehörden arbeiten können. „Der Witz ist ja, daß die paar Meter, auf denen das Zelt steht, zum Privatgrundstück gehören“, er zeigt auf ein schmuckes, helles Mehrfamilienhaus, das nur wenige Meter vom blauen Gittertor trennen. „Da ist ja klar, daß die Refugees hier nicht so einfach drüber können.“ Tom redet in rasantem, aber äußerst gemäßigtem Sächsisch. Nur seine huschenden grauen Augen verraten, daß er noch schneller denkt, als er spricht. Durch den zweiten Eingang versuchen die Behörden die Blockade der Turnhalle zu umgehen.

Es ist der befürchtete scheibchenweise erfolgende Verlust von Lebensqualität, der die Anhänger der Initiative in den kleinen Pavillon treibt. Und der Charme der kleinen Protest-Boheme. „Auch die Leute von der Security der Turnhalle gehen hier morgens durch“, sagt Tom und wippt kurz auf seinen Zehenspitzen. „Wir verstehen uns mit denen ja auch gut.“ Der Guten-Morgen-Gruß zwischen Sicherheitsdienst und den Frühaufstehern der Initiative sei immer eine lustige Sache. Das nagelneue Zelt selbst hat ein Sympathisant gespendet. Mit Kaffee und Kuchen läßt es sich hier aushalten. „Hier ist rund um die Uhr jemand da“, versichert Alex.

Doch einmal waren es zu wenige: In der Nacht auf den 18. Oktober griffen zwei Unbekannte drei „Nachtwächter“ der Initiative in dem Zelt an, schlugen einen Protestler zu Boden und brachen ihm das Schlüsselbein. „Die wußten genau, daß wir an diesem Abend nur zu dritt sind“, seufzt eine der Frauen. „Die haben ihre Späher.“ Tom vermutet die Angreifer im Umfeld des „Hauses Pippi Langstrumpf“, wie der linke Szenetreff hier genannt wird. „Man kennt die Leute ja“, begründet der Mittfünfziger seinen Verdacht, während weitere Mitglieder der Initiative eintrudeln. Die Ermittlungen laufen noch immer.  

Mit dem Protestzelt ist es dagegen mittlerweile vorbei. Am Donnerstag vergangener Woche bereiteten zweihundert Polizeibeamte der Bürgerguerilla-Idylle ein Ende – wenn auch kein jähes. „Ich habe die viel früher hier erwartet“, gesteht Tom, als er am Telefon von dem Polizeieinsatz erzählt. „Ich hatte ja vorher auf Facebook geschrieben: Kommt, unsere Kameras warten“, sagt Tom. 

 Die Polizisten trugen sechs Personen weg, die noch versucht hatten, den frisch gerodeten zweiten Zugang zur Turnhalle zu blockieren. Noch am gleichen Tag zogen dort 40 Asylbewerber ein. 

Der Verfassungspolitische Sprecher der Linkspartei im Sächsischen Landtag, Klaus Bartl, kritisierte später im MDR das „komfortable Wegtragen der Blockierer im Schneidersitz“, dem in anderen Fällen eine „handfeste polizeiliche Zugriffspraxis“ gegenüberstünde. Bartls befürchtet, der von ihm als zu lasch kritisierte Zugriff ermutige „asyl- und ausländerfeindliche Kräfte zu immer neuem grenzüberschreitenden Handeln“. 

Zumindest im Dresdner Stadtteil Übigau ist der Protest beendet, der Pavillon abgebaut. An seiner Stelle wollen die findigen Übigauer eine kleine Gedenkstätte errichten. Tom hat bereits sein nächstes Protest-Projekt gestartet: die sogenannte Kaufmann-Karte. Diese soll an die Asylbewerber verteilt werden und sie mit den Kontaktdaten des Büros der Dresdener Sozialbürgermeisterin Kris Kaufmann (Linkspartei) versorgen. „Da können sich die Einwanderer dann beschweren, wenn ihnen die Turnhalle zu ungemütlich wird“, begründet Tom sein Vorhaben. Schließlich habe Kaufmann „auf dicke Hose gemacht“ und gefordert, Einwanderern private Wohnungen zur Verfügung zu stellen. „Da wünsche ich dem Büro der Bürgermeisterin jetzt schon viel Spaß bei der Bearbeitung“, sagt Tom.