© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/15 / 30. Oktober 2015

Die Grenzen der Kapazität erreicht
Schweden: Zustrom von Flüchtlingen sorgt für Zündstoff / Kehrtwende in der Asylpolitik soll Linderung bringen
Lukas Steinwandter

Kein anderer Staat in Europa nimmt gemessen an der Einwohnerzahl mehr Migranten auf als Schweden. Für dieses Jahr erwartet das skandinavische Land mit seinen 9,6 Millionen Einwohnern laut einer aktuellen Prognose rund 190.000 Asylbewerber – 40.000 mehr als progostiziert. „Wir sind an der Grenze unserer Kapazität“, erklärte deshalb auch Regierungschef Stefan Löfven. Schweden stehe vor „einer der größten humanitären Anstrengungen in der Geschichte“, warnte der Sozialdemokrat bereits Anfang Oktober. Derzeit erreichen 9.000 Asylbewerber pro Woche das Land. 

Flüchtlingszahlen sprengen Haushaltsplan 

Laut dem Einwanderungsamt ist die Wohnungssituation der Asylsuchenden „akut“, es bestehe sogar das Risiko, daß die Unterbringungsmöglichkeiten bereits im November erschöpft seien, noch bevor der kalte schwedische Winter einsetzt. Doch es sind nicht nur strukturelle Probleme, die die regierenden Sozialdemokraten und Grünen unter Druck setzen. In den vergangen Wochen sorgten mutmaßliche Brandanschläge auf Gebäude, in denen Asylweber untergebracht werden oder die zur Unterbringung derselben dienen sollten, für Aufsehen. Angesichts der Vorfälle beschlossen die Behörden, die für die Unterbringung von Flüchtlingen vorgesehenen Gebäude und Grundstücke geheimzuhalten. Eine vorläufige Zuspitzung der hitzigen Atmosphäre mündete im Trollhättan in ein Attentat. Ein 21jähriger tötete mit einem Schwert zwei Einwanderer und verletzte zwei weitere. Die Polizei erschoß den jungen Mann anschließend. Laut Angaben lokaler Medien soll der Attentäter die Opfer gezielt ausgewählt und im Internet Sympathien für rechtsextremes Gedankengut gezeigt haben. 

Das Land zeigt sich betroffen. Rassismus dürfe keinen Platz in der schwedischen Gesellschaft haben, war dann auch laut Radio Schweden (RS) der Tenor der Redner auf der Gedenkfeier am vergangenen Sonntag. 

Kurz darauf sorgten die Schlagzeile für Unruhe, daß der avisierte Haushalt aufgrund der steigenden Zahl von Flüchtlingen offenbar nicht einzuhalten sei. „Selbstverständlich wird die Entwicklung Auswirkungen auf die öffentlichen Finanzen haben“, zitiert RS Finanzministerin Magdalena Andersson. Es seien derzeit zwar keine Steuererhöhungen geplant, an vielen Stellen müsse aber gespart werden. Wie die Migrationsbehörde mitteilte, benötige sie 29 Milliarden Kronen (rund drei Milliarden Euro) mehr als ursprünglich geplant, um den Anforderungen des Migrationsproblems im nächsten Jahr gerecht zu werden.

Besonders hart trifft der finanzielle Hammer die Kommunen. Entgegen den Aussagen der Finanzministerin warnte die Schwedische Vereinigung der örtlichen und regionalen Behörden (SKL) laut Svenksa Dagbladet, daß die Städte die Steuerquote um zwei Prozentpunkte erhöhen müßten. Obwohl die Kommunen in diesem Jahr mehr Geld als in den Jahren zuvor erhielten, um den Asylansturm zu bewältigen, reichen die Mittel hinten und vorne nicht.

Eine mögliche Lösung sieht die Regierung in der Europäischen Union. „Wir müssen eine bessere Verteilung innerhalb Europas zustande bekommen“, unterstrich Migrationsminister Morgan Johannson. Parallel dazu beschloß das Parlament, mit Ausnahme der zuwanderungskritischen  Schwedendemokraten, die zu den Konsultationen gar nicht erst eingeladen wurden, und der Linken, die die Gesprächsrunde boykottierten, zudem mehrere Gesetzesverschärfungen. So sollen etwa abgelehnte Asylbewerber schneller abgeschoben werden. Auch Aufenthaltsgenehmigungen werden nur noch für drei Jahre vergeben.

Innenpolitisch stehen die rot-grüne Minderheitsregierung, aber auch die oppositionelle bürgerliche Moderate Sammlungspartei durch die Schwedendemokraten unter Druck. Diese wurden bei der vergangenen Wahl im September 2014 mit fast 13 Prozent drittstärkste Kraft. Zuletzt forderte die Partei eine Volksabstimmung über die Asylpolitik. Wären jetzt Wahlen, würden die Schwedendemokraten mehr als 20 Prozent der Stimmen erhalten. Die rot-grüne Minderheitsregierung dagegen verliert von Tag zu Tag an Zustimmung.