© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/15 / 30. Oktober 2015

Manipulieren statt informieren
Medien: In zunehmendem Maße führen Print und Fernsehen ihre Kundschaft hinters Licht / Hauptsache, die politisch korrekte Botschaft stimmt
Curd-Torsten Weick

Ob die EU-, Euro- oder Flüchtlingskrise, ob die Kriegsberichterstattung über die Krim und die Auseinandersetzungen in der Ostkraine, über das Kriegsgeschehen in Syrien, dem Irak oder in Afghanisten  –  in den vergangenen Wochen häufen sich die Meldungen über falsche, desinformierende, bewußt oder unbewußt manipulierte Medienberichte in Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunk und vor allem im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Die Liste der Mogeleien, die in die Irre führen, ist lang. Ein falsches Video  einer Lichterkette in der „Tagesschau“, Bildjournalisten, die am liebsten Fotos von Flüchtlingskindern schießen und dabei offensichtlich das Gros der zuwandernden jungen Männer ignorieren. Frei erfundene Gewalttaten von Pegida-Anhängern, getürkte Umfragen zu Angela Merkels EU-Politik oder eine Pro-Euro-Demo in Athen, die keine ist. Folgend liefert die JUNGE FREIHEIT Beispiele unterschiedlichster Akteure.





Falsche Lichterkette und Kulleraugen

In der vergangenen Woche mußte die ARD nach Recherchen der JUNGEN FREIHEIT einräumen, falsche Bilder über eine von der SPD mitorganisierte Lichterkette für Asylbewerber in Berlin gezeigt zu haben. Entgegen den Hoffnungen der Initiatoren kamen statt der erwarteten 30.000 Personen nur etwa 8.000. Die Errichtung einer durchgängigen Menschenkette quer durch die Stadt scheiterte an der geringen Resonanz. In dem Bericht waren neben aktuellen Aufnahmen auch Szenen einer Antikriegsdemonstration aus dem Jahr 2003 zu sehen, an der mehrere tausend Personen teilgenommen hatten. Ein Hinweis auf Archivmaterial unterblieb jedoch. Durch die Bilder konnte der Eindruck entstehen, daß sich wesentlich mehr Menschen an der Veranstaltung beteiligt hatten. Auch bei der Verarbeitung der Asylkrise zeichnen Staatsmedien bisweilen ein verfälschtes Bild. „Wenn Kameraleute Flüchtlinge filmen, suchen sie sich Familien mit kleinen Kindern und großen Kulleraugen aus“, sagte der Chefredakteur von ARD aktuell, Kai Gniffke, einer Focus-Meldung zufolge vor Medienexperten in Hamburg. Tatsache sei, daß „80 Prozent der Flüchtlinge junge, kräftig gebaute, alleinstehende Männer sind“. Die bildgeprägte Berichterstattung vermittle oft ein unzutreffendes Bild. „Wir müssen sensibel sein, damit die Bildauswahl nicht allzusehr auf Kinder fokussiert wird“, forderte der Journalist in dem Nachrichtenmagazin. (fl)





Radio Energy erfindet Gewalt von Pegida-Anhängern

Der Berliner Radiosender Energy hat eingeräumt, eine Falschmeldung über angebliche Gewalt von Pegida-Sympathisanten verbreitet zu haben. Energy hatte am 20. Oktober über Ausschreitungen in Dresden während der Pegida-Kundgebung am Vorabend berichtet und aus dem verletzten Pegida-Teilnehmer einen verletzten Pegida-Gegner gemacht. Gegenüber der JUNGEN FREIHEIT räumte der Nachrichtensprecher Michael Bottlik den Fehler ein. Eine Korrektur werde es jedoch nicht geben. Am Montag Abend war es zu heftigen Auseinandersetzungen in Dresden gekommen. Gewalttätige linke Gegendemonstranten hatten einen Sternmarsch gegen die Pegida-Kundgebung vor der Semperoper organisiert. Ein Mann, der zur Pegida-Kundgebung wollte, wurde von ihnen schwer verletzt. Im Polizeibericht heißt es: „Der Geschädigte erlitt schwere Verletzungen und mußte in ein Krankenhaus gebracht werden.“ Am Dienstag Morgen berichtete die Berlin-Redaktion von Energy über den Vorfall. Der Moderator fragte Nachrichtensprecher Michael Bottlik: „Micha, Dresden scheint jetzt immer montags zum gefährlichen Pflaster zu werden?“ Dieser antwortete:  „So ist es – und zwar wegen der Pegida.“ Die Stimmung sei aufgeheizt gewesen, weil dort „drei Stunden lang Asylbewerber und demokratische Parteien beschimpft“ worden seien. „Ein Gegendemonstrant wird mit einer Eisenstange verprügelt“, berichtete der Sprecher weiter. Diese Nachricht wurde so mehrfach am Dienstag Morgen vorgelesen. Auf JF-Nachfrage erklärte Bottlik, ihm habe der (online zugängliche) Polizeibericht nicht vorgelegen. Er räumte seinen Fehler ein und sagte: „Das war nicht richtig.“ Andererseits könne es keine Richtigstellung im laufenden Programm geben, denn „so etwas ist immer schwierig zu erklären für denjenigen, der es nicht gehört hat“. Laut Medienanalyse (2. Quartal 2015) erreicht der Sender durchschnittlich 50.000 Hörer pro Stunde. Der französische Senderverbund ist nach eigenen Angaben das größte private Radiounternehmen Europas. Auch in anderen Radiosendern, wie dem Deutschlandfunk, wurde die Nachricht über den verletzten Demonstranten mißverständlich verbreitet, so daß der Eindruck entstehen konnte, Anhänger von Pegida hätten einen Gegner angegriffen. (rg)




ZDF-Heute-Journal macht aus Syriza-Kundgebung Demo für die Sparpolitik

Am 29. Juni demonstrierten 20.000 Griechen für die Euro-Politik von Ministerpräsident Alexis Tsipras. Reuters berichtete, daß Syriza zu einer Kundgebung gegen die Sparpolitik aufgerufen hatte, um die Griechen von einem „Nein“ in dem von der sozialistischen Partei initiierten Referendum aufzurufen. ZDF-Korrespondent Alexander von Sobeck berichtete live auf dem Syntagma-Platz. Nachdem er die Syriza-Regierung für das Referendum kritisiert hatte, deutete er auf die Menge hinter sich und sagte:  „Und das sind alles Leute, die im Euro bleiben wollen.“ Durch die Berichterstattung entstand der Eindruck, die Menschenmenge sei mit Tsipras’ Regierung unzufrieden. Tatsächlich demonstrierten die Menschen für ein „Nein“ zu den Vorschlägen der Troika. Auf den Transparenten war laut einem FAZ-Bericht zu lesen „Nein zur Erpressung der Troika“ und „Unser Leben gehört nicht den Gläubigern“. (fl)





„Heute Show“ macht aus Linken-Politikerin AfD-Wählerin

Die ZDF-Satiresendung „Heute Show“ ist mit ihrem Spott ein wenig zu weit gegangen. Ein Interview mit der jugendpolitischen Sprecherin der Linkspartei in Görlitz, Marlana Schiewer, das im September vergangenen Jahres ausgestrahlt wurde, war des Humors zuviel. Ihre Aussagen wurden so gekürzt, daß sie als AfD-Wählerin durchging: „Und deswegen wähle ich jetzt die AfD. Ich sage immer, das ist die NPD in freundlich“, war von ihr zu hören. Voll­­­­­­ständig zitiert klingt der Satz ganz anders: „Hier auf dem Dorf gibt es viele Leute, die rechter Meinung sind und die sagen, ich möchte nicht mehr die NPD wählen, weil die mir zu rechtsextrem ist, und deswegen wähle ich jetzt die AfD. Ich sage immer, das ist die NPD in freundlich.“ Moderator Oliver Welke entschuldigte sich für den Fehler. (fl)





„Stern“: Niggemeier beklagt Manipulation von Umfrage

Stefan Niggemeier, Gründer des medienkritischen „Bildblog“, hat im Juli  diesen Jahres  eine manipulierte Meinungsumfrage von Stern und Forsa aufgedeckt. Dem Ergebnis zufolge unterstütze angeblich eine Mehrheit der Deutschen die Europolitik Merkels. Die Frage dazu lautete jedoch: Hat Merkel alles richtig gemacht, oder hätte sie Griechenland zum Austritt zwingen sollen? Teilnehmer, die jenseits der beiden Extrempositionen eine differenzierte Meinung haben, fanden sich in keiner der beiden Antwortmöglichkeiten wieder. Doch den Stern ficht Kritik nicht an: Statt die suggestive Fragestellung einzuräumen, veröffentlichte das Magazin kurzerhand ein Interview mit Forsa-Chef Manfred Güllner, der Niggemeier unterstellte, „ideologische Scheuklappen“ zu tragen. (rg)





Falsche russische Panzer in der Ukraine

Im WDR-„Tagesgespräch“ berichtete der Sender über den Krieg in der Ukraine. In einem Nachrichtenbeitrag hieß es von der Moderation, russische Truppen hätten am 19. August 2014 trotz anderslautender Vereinbarungen angeblich in der Ukraine gekämpf. Untermalt wurde die Meldung mit einem Bild russischer Panzer. Bis zu diesem Zeitpunkt konnten jedoch weder Nato noch die ukrainische Regierung belastbare Belege für diese Behauptung finden. Das Nachrichtenportal NTV gab Aufschluß über die Videoquelle: Das Material war bereits während des russischen Militärmanövers „Kaukasus 2009“ aufgenommen worden. Später griff die Huffington Post die Szene mit den rollenden Panzern ein weiteres Mal auf, um eine mutmaßliche Verwüstung von Häusern im Osten der Ukraine zu belegen. (fl)





Krieg in Syrien, Krieg in Afghanistan – gleiches Video

Am 15. April 2012 sendete die Tagesschau einen Bericht über die Kämpfe in der syrischen Stadt Homs. Tenor der Meldung: Der Friedensplan sei von Syriens Präsident Baschar al-Assad gebrochen worden. Unterlegt wurde die Meldung mit einem Amateurvideo. Eine Kamera filmt aus dem Fenster, in der Ferne ist eine gewaltige Explosion zu sehen. Aus dem Off sind Schreie und Schießereien zu hören. Tagesschau-Sprecher Jan Hofer behauptete in der Moderation, das Video sei von syrischen Oppositionellen veröffentlicht worden. Nun sollte man in der Tagesschau-Redaktion wissen, daß Bildmaterial von Kriegsparteien der Wahrheitsfindung nicht immer dienlich ist – Stichwort: Desinformation. Denn am selben Tag sendete das ZDF Heute-Journal einen Bericht über einen Taliban-Angriff in Kabul. Zu sehen war: dasselbe Video. (fl)