© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/15 / 30. Oktober 2015

Pankraz,
die Lügenpresse und ein Abend bei Pegida

Lügenpresse contra Pegidahetze – auf diese Formel ließe sich bringen, was in den vergangenen beiden Wochen das „Geistesleben“ Deutschlands geprägt hat. Wobei nicht klar wurde, von wem die „Hetze“ eigentlich ausging. Einigkeit bestand lediglich darüber, daß ihr Höhepunkt ein Pegida-Auftritt des deutsch-türkischen Bestsellerautors Akif Pirinçci war, welcher angeblich die Wiedereinführung von KZs für die Unterbringung der Flüchtlingsströme gefordert hatte. 

Die mediale Empörung schäumte über. Jetzt, so hieß es durch die Bank im Fernsehen und in der „Qualitätspresse“, habe sich Pegida endgültig als pures Nazitum entlarvt, Sanktionen seien nötig. Pirinçcis Verlag Bertelsmann reagierte umgehend und gab bekannt, daß er die weitere Auslieferung der ungemein erfolgreichen Katzenkrimis seines Autors sofort stoppen und die Verträge mit ihm kündigen werde.

„Alle meine Bücher“, klagte Pirinçci letzten Samstag einem höhnisch grinsenden Mikrofonträger, „sind nicht mehr verkäuflich, sie sind weder im Buchhandel noch über das Internet mehr erhältlich (…) Im Kölner Express war zu lesen, mit einem Foto von mir auf der Titelseite, Pirinçci habe Hausverbot in allen Kneipen Bonns, dabei gehe ich gar nicht in Kneipen. Auf der Rückseite des erwähnten Blattes wurde mein Haus abgebildet. Das hat wohl nichts mehr mit Journalismus zu tun, was möchten denn diese sogenannten Reporter mit der Abbildung meines Wohnsitzes bezwecken?“


Was hat Pirinçci nun in Dresden auf jener Pegida-Versammlung wirklich gesagt? Er kommentierte – wie inzwischen einigermaßen ordentlich dokumentiert – die Äußerung eines hessischen CDU-Politikers, der gemeint hatte, Bürger, die mit der aktuellen Politik nicht einverstanden seien, könnten Deutschland ja jederzeit verlassen, wie folgt: „Offenkundig scheint man bei der Macht die Angst und den Respekt vor dem eigenen Volk so restlos abgelegt zu haben, daß man ihm schulterzuckend die Ausreise empfehlen kann, wenn es gefälligst nicht pariert. Es gäbe natürlich andere Alternativen. Aber die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb.“

Pirinçci hat also keineswegs für die Wiedereinführung von KZs zur Regelung der Flüchtlingsfrage plädiert, sondern er hat die Haltung etablierter (CDU-)Politiker kritisiert. Diese Politiker, so legt er nahe, kümmern sich nicht die Spur mehr um die Meinung des Volkes, sagen vielmehr, wenn es nicht mit den Politikern einverstanden sei, solle es sich doch schleunigst davonmachen, da es ja leider keine KZs mehr gäbe. Das ist zwar eine recht kuriose Aussage („typisch Pirinçci“, werden einige sagen), doch es ist genau das Gegenteil von dem, was ihm die Medien unterstellen wollten. 

Der Ausdruck „Lügenpresse“ für die Art, wie die etablierten Medien hierzulande inzwischen mit mißliebigen Zwischenrufern umgehen, ist noch geschmeichelt. Es wird nicht nur  gelogen, sondern es wird dem Meinungsgegner frech und völlig planmäßig das Wort im Munde umgedreht. So etwas gibt es sonst nicht einmal in den gröbsten und unverschämtesten Wortmeldungen auf Facebook oder Twitter, es ist die Masche mächtiger staatlicher Meinungsterroristen, wie sie unzählige Landsleute in der DDR erfahren mußten und in trüber Erinnerung haben.

Hier wie dort fast das gleiche intensive Zusammenspiel von Politik, Medien und Justiz. Die aktualisierte Fassung des Paragraphen 130 über „Volksverhetzung“ im deutschen Strafgesetzbuch vom 21. Januar 2015  (BGBl. I S. 10) unterscheidet sich nur noch quantitativ, nicht mehr qualitativ, vom berüchtigten DDR-Paragraphen über „Boykotthetze“ beziehungsweise „staatsfeindliche Hetze“. Auch der Paragraph 130 StGB erklärt alle nur denkbaren Äußerungen „gegen die Würde des Menschen“ zu schweren Verstößen gegen den öffentlichen Frieden und bedroht sie mit harten Strafen.


Es ist ein Gummiparagraph ohnegleichen und öffnet dem Denunziationsgewerbe unerwartet neue Chancen, zumal heute ein Schnüffelapparat à la Stasi gar nicht mehr nötig ist. Der digitale Big-Data-Betrieb macht die Wahrung einer echten Privatsphäre, in der man auch einmal ein offenes Wort riskieren kann, unmöglich, und was nicht offen gesagt wird, das errechnen zahllose Algorithmen. „Persönlichkeitsprofile“ werden automatisch erstellt, von denen auch Staatsanwälte gegebenenfalls Gebrauch machen, um den Delinquenten zu überführen. Wen der politisch-mediale Komplex zur Strecke bringen will, den bringt er auch zur Strecke.

Das Schlüsselwort für die Jagd der Hundemeute auf den Fuchs der freien Meinung heißt „Hetze“. In der „Tagesschau“ und überhaupt in der offiziellen Rhetorik wimmelt es zur Zeit von schlimmsten Hetzern. Wie einst bei der SED in der DDR ist jetzt hierzulande jeder, dessen Profil einem nicht paßt, aber dem man kein gewöhnliches Kriminalverbrechen wie Gewaltausübung, Nötigung oder Beleidigung anhängen kann, ein Hetzer. Dagegen kann sich niemand wehren, auch wenn er den  besten Anwalt an seiner Seite hätte, denn dieser muß ja selber darauf achten, nicht unversehens als Hetzer an den Pranger gestellt zu werden.

Der Fall nimmt wieder mal groteske Ausmaße an. Man sollte sich zum Gegensteuern endlich einmal klarmachen, daß „Hetze“ ein typisches Herrschaftswort ist. Nicht das schlaue Füchslein (oder der stinkende Dachs oder das borstige Wildschwein) ist der Hetzer, sondern der hoch zu Roß einhersprengende und von seiner kläffenden Hundemeute begleitete Gutsbesitzer und Platzhalter. Das Bild läßt sich ohne weiteres auf den gegenwärtigen Politikstil übertragen, wie die Affäre Pirinçci nur allzu deutlich zeigt. 

Mag der Mann nun ein Fuchs, ein Dachs oder ein borstiger Eber sein – ein übler Hetzer ist er gewiß nicht, sowenig wie Pegida eine Hetzveranstaltung. Wer seinen Bau mit Verve verteidigt, gehört eher zur Spezies der zu schützenden Arten. Die Hetzer mit der Meute aber sind – zumindest in England – gesetzlich verboten.