© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/15 / 30. Oktober 2015

Der Graben ist tief
Bischofssynode in Rom: Das Schlußdokument enthält viele schwammige Formulierungen
Gernot Facius

War das alles?“ fragte irritiert der Kommentator des katholischen Kölner Domradios. Seine Enttäuschung galt dem Schlußbericht der Bischofssynode zu Ehe und Familie in Rom. Mit einer knappen Zweidrittelmehrheit plädierten die 270 Bischöfe und Kardinäle aus allen Teilen der Welt für einen offeneren Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen, die bislang von der Eucharistie ausgeschlossen sind. „Im Gespräch mit dem Priester“, heißt es etwas unbestimmt in dem Dokument, „kann ein Urteil über das gefällt werden, was einer volleren Teilnahme am Leben der Kirche entgegensteht.“ 178 Bischöfe stimmten für diese Passage, 80 dagegen.

Eine größere Zustimmung gab es für die Aussage, die wiederverheirateten Geschiedenen dürften sich nicht wie „Exkommunizierte“ fühlen. Die helfende Hand des Seelsorgers soll den mahnenden Zeigefinger des Moralisten ersetzen. Die Aufmerksamkeit richtet sich nun ganz auf Papst Franziskus, der seiner Kirche ein Jahr der Barmherzigkeit verordnet hat, beginnend am 1. Advent. Wie wird der Pontifex mit dem Schlußbericht und den Papieren der 13 Sprachgruppen, von denen die besonders reformorientierte deutsche die kleinste ist, umgehen? Wo doch nach den martialischen Worten von Kurienkardinal George Pell eine „Schlacht“ zwischen Konservativen und Reformern tobte. 

Die von einigen erhoffte Sensation ist ausgeblieben. Die Synode nimmt nur ganz allgemein zum kontroversen Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen Stellung. Eindeutiger äußert sie sich zu den Homosexuellen. Sie dürften zwar nicht diskriminiert werden, aber  es gebe „kein Fundament dafür, zwischen homosexuellen Lebensgemeinschaften und dem Plan Gottes für Ehe und Familie Ähnlichkeiten oder Analogien herzustellen, auch nicht in einem weiteren Sinne“.

An diesem Punkt zeigt sich am deutlichsten, wie tief der Graben zwischen der römischen Kirche und dem landeskirchlichen deutschen Protestantismus ist. Man hält es von katholischer Seite für nicht hinnehmbar, Ortskirchen in dieser Frage unter Druck zu setzen – eine Kritik vornehmlich an die Adresse der Politik. Gemessen an den Erwartungen seien viele womöglich enttäuscht, bilanzierte der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode.

Nun richten sich die Hoffnungen der Reformer auf Franziskus’ (noch unbestimmtes) Plädoyer, „die Wirklichkeit mit Gottes Augen zu sehen“ und Gesetze als für Menschen gemacht zu begreifen, nicht umgekehrt. Alois Glück, der scheidende Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), des Zusammenschlusses katholischer Laien und ihrer Verbände, suchte der „Offenheit“ des Synoden-Papiers eine positive Deutung zu geben: Sie erlaube es dem Papst, sein „Reformprojekt“ und seine eigenen Gedanken voranzubringen.

Den Synodalen war in Rom offenbar deutlicher als zuvor bewußt geworden, daß es auf weltkirchlicher Ebene unterschiedliche Prioritäten gibt – mithin auch keine einfachen Lösungen. In Afrika ist die Vielehe ein drängenderes Problem als die im deutschen Sprachraum so leidenschaftlich diskutierte Frage der wiederverheirateten Geschiedenen; viele Probleme sind typisch kontinentbezogen. Die deutschen Synodalen um Kardinal Reinhard Marx (München) und Erzbischof Heiner Koch (Berlin) haben, mit einem Rückgriff auf den Kirchenvater Thomas von Aquin (1225–1274), für die fallweise Zulassung dieser Gläubigen zur Kommunion geworben und damit, wie viele Beobachter anmerkten, die Tür zu einer weiteren Diskussion offengehalten. Die praktische Anwendung einer Norm erfordert nach Thomas von Aquin stets Klugheit, sie habe überdies die konkrete Situation zu beachten. 

Bereits in seinem Zwischenbericht hatte der deutsche Sprachzirkel für eine Seelsorge, die auch die „Gewissensfähigkeit“ der Menschen im Blick behält und den Priestern im Beichtstuhl eine zentrale Rolle einräumt, geworben. Der Text wurde einstimmig verabschiedet. Ein kleines Wunder am Tiber, von Erzbischof Koch zunächst für „unmöglich“ gehalten, gehört doch auch der als „Betonkopf“ verschrieene Präfekt der römischen Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, diesem Zirkel an. Im Grunde läuft die Formulierung darauf hinaus: An der Bestimmung zum Ausschluß der wiederverheirateten Geschiedenen von den Sakramenten wird im Prinzip nicht gerüttelt, es soll aber Änderungen, was die Seelsorge betrifft, geben: Nicht mehr verurteilend und belehrend, sondern zuhörend und barmherzig. Das wäre der Versuch eines Brückenschlags zwischen den kirchlichen Lagern. 

In den Synoden-Texten der deutschen Bischöfe findet sich erstmals ein längeres Reuebekenntnis, verbunden mit der Bitte um Verzeihung: „Im falsch verstandenen Bemühen, die kirchliche Lehre hochzuhalten, kam es in der Pastoral immer wieder zu harten und unbarmherzigen Haltungen, die Leid über Menschen gebracht haben, indem über ledige Mütter und außerehelich geborene Kinder, über Menschen in vorehelichen und nichtehelichen Lebensgemeinschaften, über homosexuell orientierte Menschen und über Geschiedene und Wiederverheiratete.“ Die deutschen Synodalen machen kein Hehl daraus, daß sie sich mehr Mut gewünscht hätten, sich intensiver mit den „Realitäten“ zu befassen und sie als Zeichen der Zeit anzuerkennen.

In das Schlußdokument aufgenommen wurden diese Passagen zum Bedauern der Deutschen allerdings nicht. Doch sie suchten Trost darin, daß die Synode „kein Ende, sondern einen Doppelpunkt“ (Kardinal Marx) bedeute. „Wir müssen diesen Weg für uns mit den Familien weitergehen. Keine andere globale Institution unternimmt eine solche Reflexion mit weltweiter Partizipation zum Thema Familie.“ 

Marx würdigte die „historische“ Rede von Papst Franziskus, in der der Wunsch nach einer Stärkung der nationalen Bischofskonferenzen zum Ausdruck kam; Rom betrachtet sie bislang lediglich als unverbindliche Arbeitsgemeinschaften. Es bedürfe einer „heilsamen Dezentralisierung“, hatte der Pontifex gesagt.

Ist Franziskus’ Räsonieren über eine „synodale Kirche auf allen Ebenen“ und ein Überdenken des Papstprimats schon das Vorzeichen einer großen römischen „Wende“? Eine stärkere Synodalität hätte zweifellos Auswirkungen auf das Verhältnis Roms zur Orthodoxie und zu den evangelischen Kirchen, die ihre synodalen Strukturen pflegen. Beobachter erinnern allerdings zu Recht daran, daß auch die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. mit Forderungen nach einer Neuausrichtung des Petrus-Amtes auftraten, ohne daß diese Gedanken dann in der Praxis vertieft wurden. „Wende“ ist eben ein großes Wort.