© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/15 / 30. Oktober 2015

Ein Mohr im Fernen Osten
Der Löwe von Venedig als verwirrtes Kätzchen: Verdis „Otello“ im Mainfranken-Theater Würzburg
Petra Knoll

Düster beginnt das Drama um das Liebespaar Desdemona und Otello am Mainfranken-Theater Würzburg, inszeniert von Guy Montavon. Ein Schiff auf wilder See wird im Bühnenhintergrund simuliert, vom Nebel umhüllt. Aus dem Musikgraben ertönen Gewitter und Orkane, als ob man in Richard Wagners „Fliegendem Holländer“ sei. „Rette uns das Schiff des Feldherrn, rette Glück und Heil Venedigs“, singen die Matrosen auf italienisch, mehr schreiend als flehend.

Ruhiger wird es erst, als Otello auf der Schiffsbrücke erscheint und den militärischen Sieg verkündet: „Freut euch alle! Der Stolz der Muselmanen liegt auf dem Grund des Meeres begraben ...“ Ein kräftiger, bulliger Schwarzer von einer Körperstatur eines Idi Amin feiert seine Rückkehr. Kein jugendlicher Liebhaber, sondern ein Kämpfer im mittleren Alter.

Folgt man den Anweisungen Verdis für seine 1887 uraufgeführte Oper nach William Shakespeares Schauspiel, hätte es ein Mohr sein sollen. Ein Mohr, hat der Intendant des Mainfranken-Theaters Hermann Schneider vor Wochen erläutert, sei kein schwarzer Sarotti-Mohr, sondern ein Maure, ein Mauretanier oder (ehemaliger) Besatzer Spaniens.

Wo genau die Jubelfeier zum Sieg über die Türken war, bleibt in Würzburg unklar. Die Schiffsbrücke dominiert lange Zeit die Bühne, mit kalten, metallisch glänzenden Geländern. Minimalistische Stahlkonstruktionen, die vorwiegend dunkelfarbig angestrahlt werden. Ein Hauch von Futurismus und sparsames Licht erzeugt eine beklemmende Atmosphäre (Bühnenausstatter Francesco Calcagnini). Die Soldaten feiern in mausgrauen Uniformen mit Mao-Kappe. Laut Verdi sind griechische, dalmatinische und albanische Krieger vorgesehen. In Würzburg denkt man eher an Nordkorea, zumindest an einen Ort irgendwo im Fernen Osten. Genügend asiatische Sänger werden an deutschen Musikhochschulen ja ausgebildet.

Der Schriftsteller Eckhard Henscheid hat vor Jahren noch darüber spekuliert, in welchem Hafen Otello denn gelandet sei. Paphos, Limassol oder gar Larnaca? Was wäre ein angemessener Platz für den Statthalter von Zypern im 15. Jahrhundert, der damaligen Kolonie von Venedig, zur Sicherung des Handels im östlichen Mittelmeer? „Ein Platz vor dem Schlosse. Eine Schänke mit Lauben, Aussicht auf die Hafenwerke und das Meer“, heißt es bei Verdi.

Spötter könnten sagen, das Bühnenbild passe doch ideal zu Würzburg. Es ähnelt sehr den Neubauten in dieser Stadt, besonders am historischen Marktplatz und neben der Steinburg zwischen den Weinbergen. Jedesmal sind es wuchtige Gebäude, fast Bunker, dunkle, glatte Fassaden, Flachdach statt Giebeldach, ein wahres Gegengift für den verspielten, üppigen Barock Frankens. 

Vor dem geopolitischen Hintergrund entfaltet sich bei „Otello“ ein Liebesdrama. Der große Stratege schmilzt dahin, wenn er seine Frau Desdemona wiedersieht und sie mit engelsgleichen Worten reagiert. Verdi profiliert sich hier einmal mehr als Lautsprecher der Frauenverehrung, die oft an der Kitschgrenze vorbeischrammt. Folgerichtig wandelt Desdemona als einzige in einem weißen Mantel, alle anderen sind dunkel gekleidet – außer der Gesandte der Republik Venedig, der auch ganz in Weiß auftaucht. Warum das so ist, bleibt offen. 

Das Drama nimmt seinen Lauf, als der Soldat Jago nicht befördert wird. Er schwört Rache und entwirft einen teuflischen Plan, in dem er die Eifersucht von Otello anstachelt. Jago ergattert ein Liebestuch, das Otello seiner jetzigen Frau einst schenkte. Das weiße Tuch gibt er einem Verehrer von Desdemona – und weckt so die Eifersucht von Otello, der seine Frau als Dirne beschimpft und schließlich erdrosselt.

Der US-amerikanische Tenor Ray Wade jr. verkörpert diese Rolle in Würzburg wenig glaubhaft. Daran ist einerseits Verdi schuld, der für Otello lange lyrisch-schwelgerische Liebesphanta-

sien komponierte. Diese singt Wade jr. so innig, daß man ihm die Aggressionsausbrüche schwer abnimmt. Wenn dann die Eifersucht hochsteigt, macht er eher einen unbeholfenen, verunsicherten Eindruck – wie ein verwirrtes Kätzchen, nicht wie ein kluger Militärstratege. Ob er jemanden wirklich erdrosseln könnte? Stimmlich ist Ray Wade jr. beeindruckend, zusammen mit Karen Leiber als Desdemona und Adam Kim als teuflischer Jago. Dirigent Enrico Calesso ist hier in seinem Element.


Die nächsten „Otello“-Vorstellungen im Mainfranken-Theater Würzburg, Theaterstr. 21, finden statt am 31. Oktober, 8., 13., 17., 25. November sowie am  5., 17., 20. und 27. Dezember 2015. Kartentelefon 09 31 / 39 08-124

  www.theaterwuerzburg.de