© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/15 / 06. November 2015

Chris Roberts. Dem Hacker ist es gelungen, Linienflüge unter seine Kontrolle zu bringen
Der Luftpirat
Wolfgang Kaufmann

Mit seinem ellenlangen Bart sieht der bullige Mittvierziger aus wie ein Taliban oder IS-Kämpfer. Doch Chris Roberts gehört zu den Guten, so sagt er jedenfalls ... Denn der Amerikaner aus Colorado spürt Schwachstellen in Computersystemen auf und macht diese publik, damit die Hersteller und Betreiber Abhilfe schaffen können. Dazu muß er sich allerdings in die Systeme einhacken, was nur dann legal ist, wenn ein Auftrag dazu vorliegt. Und genau daran fehlte es dem IT-Experten, der die Universität Oxford ohne Abschluß verließ und sich wiederholt als Firmengründer versuchte, in der Vergangenheit ein ums andere Mal.

So hatte zum Beispiel die US-Weltraumbehörde Nasa Roberts nicht dazu autorisiert, sich in das Kontrollsystem der Internationalen Raumstation ISS einzuklinken und dann gar noch den Versuch zu unternehmen, die Fahrtroute des Mars-Rovers „Curiosity“ zu beeinflussen. Dennoch blieb dieser Hack für Roberts ohne Folgen – im Gegensatz zu seinem nächsten großen Coup, den er an Bord einer Boeing 737 von United Airlines startete. Hier verschaffte er sich quasi als „Cyber-Luftpirat“ über das Entertainment-System in den Sitzen Zugang zum Bordcomputer im Cockpit der Maschine, welcher unter anderem die Steuerbefehle der Piloten verarbeitet. Dabei rechtfertigte Roberts sein Tun damit, einen Beitrag zur Flugsicherheit geleistet zu haben, da ihm gelungen sei zu zeigen, wie einfach es für Terroristen sei, vom Passagiersessel aus die Kontrolle über die Maschine zu übernehmen.

Das nach diesem Experiment eingeschaltete FBI sah die Sache anders: Der selbsternannte Sicherheitstester habe sich keineswegs bloß mit dem Computersystem der Boeing verbunden – sondern auch die Triebwerksleistung hochgefahren und den Kurs verändert. Und das, so die US-Bundespolizei weiter, nicht nur während dieses einen Fluges, sondern in insgesamt 15 Fällen seit 2011. Deshalb erteilte United Roberts nun ein unbefristetes Flugverbot „zum Besten unserer Passagiere und Besatzungen“.

Doch der Meister-Hacker scheint inzwischen bereits Nachahmer gefunden zu haben, wie zwei Vorfälle aus letzter Zeit beweisen: Erst fanden reihenweise mysteriöse Cyberattacken auf weitere Maschinen von United Airlines statt, welche immerhin 150mal zu Unregelmäßigkeiten während des Fluges führten, dann meldete die polnische Fluggesellschaft LOT unerklärliche Manipulationen an ihren Computersystemen.

Das alles führt nun zu wachsender Unruhe unter den Piloten, die jetzt die Hersteller und Fluggesellschaften in der Pflicht sehen. Dabei scheint aber die einzige nennenswerte Reaktion auf das Problem zu sein, dem Kabinenpersonal aufzutragen, die Benutzer von Klapprechnern besser im Auge zu behalten. Und es wird darüber diskutiert, ob es noch zu verantworten sei, die tragbaren Computer als Handgepäck zuzulassen.