© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/15 / 06. November 2015

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Flüchtlingskinder im Regen
Marcus Schmidt

Mitunter reichen ein paar Worte, um den Kern eines Problems freizulegen. Am Montag gelang dies dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele. Mit wenigen Sätzen stellte er auf einer Veranstaltung in Berlin die Ohnmacht und Hilflosigkeit der deutschen Politik in der Asylkrise bloß.

„Wer einen Zaun will, muß ihn auch verteidigen“, sagte Ströbele. Wohl wissend, daß dazu in Berlin derzeit keiner der politisch Verantwortlichen bereit ist. Wenn Deutschland beispielsweise die Grenzen zu Österreich schlösse, fuhr er fort, gäbe es bald Bilder von Flüchtlingskindern, die im Regen am Grenzzaun stehen. „Das halten die nicht einen Tag durch“, sagte Ströbele mit Blick auf die Bundesregierung. Und niemand mochte ihm widersprechen. 

Eigentlich sollte es auf dem „Europäischen Abend“ des Deutschen Beamtenbundes (DBB), der Europa-Union, des Bundesnetzwerks Bürgerliches Engagement und der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland unter dem Titel „Demagogen, Populisten und Fanatiker“ um den Extremismus in Europa gehen. Doch der Asylkrise entkommt in Berlin derzeit niemand. Eher früher als später kreisen die Gespräche auf jeder Veranstaltung um den ungebremsten Zustrom von Flüchtlingen nach Deutschland und die Folgen dieser Völkerwanderung. Am Montag im DBB-Forum in der Friedrichstraße war der Übergang fließend, denn es zeigte sich schnell, daß die ungelöste Flüchtlingskrise und die Warnung vor politischem Extremismus in Europa zusammengehören. Die Diskussionen kreisten dabei sowohl um die Gefahr des Extremismus von außen, als auch um eine drohende Radikalisierung von Teilen der heimischen Bevölkerung. „Die Polarisierung der europäischen Gesellschaften ist meine größte Befürchtung“, sagte der Politikwissenschaftler Peter Neumann.  

Die Publizistin Thea Dorn warnte mit Blick auf die deutsche Diskussion davor, jeden in die rechte Ecke zu stellen, der „ein Problem“ mit dem Islam habe. „Dann brauchen wir uns nicht wundern, wenn er bei Pegida landet“, sagte Dorn. Die vorschnelle Unterstellung, jemand sei radikal, könne tatsächlich zu einer Radikalisierung des Betroffenen führen. Gleichzeitig sei in der Auseinandersetzung mit dem Islam eine „humane und besonnene Härte und Stärke“ notwendig, forderte Dorn. Die westlichen Werte müßten klar und streng verteidigt werden. So sei es etwa verheerend, wenn die Behörden moslemische Kinder vom Schwimmunterricht befreiten. 

„Ich wünsche mir mehr Politiker, die Klartext reden“, mahnte Dorn. Doch Klarheit sei nicht unbedingt eine deutsche Tugend. Dies bezog sie ausdrücklich  auch auf den Satz „Wir schaffen das“ von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Dieser Spruch sei ihr zwar menschlich tief sympathisch, sagte Dorn, politisch halte sie ihn aber für verheerend. Schon der amerikanische Präsident Barack Oba-ma, der 2008 mit dem Ausspruch „Yes we can“ in den Wahlkampf zog, habe einsehen müssen, daß er mit diesem Satz nicht ein Gesetz durchbekomme. Auch Dorn hatte so mit wenigen Sätzen ein Problem klar benannt.