© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/15 / 06. November 2015

Null Erkenntnis
Pegida: Der aus Dresden stammende Lyriker Durs Grünbein versteht die Bewegung in seiner Heimatstadt nicht
Thorsten Hinz

Im Februar 2015 veröffentlichte der Schriftsteller und gebürtige Dresdener Durs Grünbein in der Zeit eine Stellungnahme zu den Pegida-Demonstrationen in seiner Heimatstadt. Bereits die Überschrift war eine Kriegserklärung: „Das Volk, dieses Monster“. Im Text erfuhr man wenig über Pegida und Dresden, dafür eine Menge über Grünbeins Komplexe und offene Rechnungen.

Mittwoch vergangener Woche nun ließ die Süddeutsche Zeitung ihn gemeinsam mit einem Redakteur am Abendspaziergang der Pegida teilnehmen und zu diesem Zweck „mit dem Flieger aus Rom (kommen), wo er lebt“.

Den ästhetischen Degout vor den „Kleinbürgern“ hat der dichtende Jetsetler sich bewahrt, doch er kommt in der Reportage dezenter daher als im Zeit-Artikel. Das Wort „Völkerwanderung“ erscheint in dem Text, der die ganze dritte Seite füllt, kein einziges Mal. Zur Ergänzung hätte sich eine Wanderung entlang der slowenisch-österreichische Grenze empfohlen, doch Grünbein flog bereits am Dienstag zurück nach Rom. Der Erkenntnisgewinn des Artikels liegt übrigens bei null. 

Sebastian Hennig, ein gleichfalls aus Dresden stammender Künstler und Publizist, kritisiert in seinem soeben erschienem Buch über Pegida (siehe Seite 16 dieser Ausgabe) neben Grünbein auch Ingo Schulze, den Schauspieler Jan Josef Liefers und den Journalisten Peter Richter, die sich „pflichtgemäß“ für Pegida und für ihre Herkunft aus Dresden „schämen“. 

Nun, wäre es anders, würde die Süddeutsche Grünbein nicht mehr einfliegen lassen. Als 1979 in der DDR ein Kesseltreiben gegen SED-kritische Autoren stattfand – darunter Stefan Heym und Erich Loest –, erklärte Heym vor dem versammelten Scherbengericht: „Wir alle wissen, was für den einzelnen von seinem Votum abhängt: Westreisen und Stipendien, Auflagen und Aufführungen, Verfilmungen und Preise aller Art. Ich werde es keinem übelnehmen, wenn er, in Erwägung solcher Vorteile, für meinen und den anderer Kollegen Ausschluß stimmt.“ Dieses Verhaltensmuster wirkt weiter. Was auf solcher Grundlage zustande kommt, ist oft schmerzhaft, doch es zählt schon nicht mehr.