© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/15 / 13. November 2015

Rote Karte hinter Gittern
Protest: Tausende AfD-Anhänger demonstrieren im Berliner Regierungsviertel unter dem Schutz der Polizei gegen die Asylpolitik
Marcus Schmidt

Die junge Frau hinter dem Gitter schaut entgeistert. Auf der anderen Seite der Polizeiabsperrung zieht eine Demonstration mit Deutschlandfahnen, Transparenten und AfD-Bannern ungestört an ihr vorüber. Eben noch hatte die Frau gemeinsam mit einer Handvoll weiterer Gegendemonstranten aus voller Kehle gerufen: „Ihr seid die Beweise: Deutschland ist scheiße“. Doch jetzt schüttelt sie nur noch ungläubig den Kopf. Aus dem Demonstrationszug schallt es ihr entgegen: „Nazis raus, Nazis raus.“ So hatte sich die junge Frau ihren Protest vermutlich nicht vorgestellt.

Für die Gegner der AfD, die am vergangenen Sonnabend gegen die Demonstration der Partei in Berlin mobilisiert hatten, lief am Wochenende wenig nach Plan. Trotz eines gemeinsamen Aufrufes der im Berliner Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien versammelten sich nach Schätzungen der Polizei nicht viel mehr als 1.000 linke Gegendemonstranten. Für Berliner Verhältnisse ist das wenig. Die Initiatoren hatten auf wesentlich mehr Teilnehmer gehofft. 

Dabei hatte am vergangenen Mittwoch sogar Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) auf der Internet-seite ihres Ministeriums eine Stellungnahme gegen die AfD-Demonstration veröffentlicht. Doch nachdem die Partei das Bundesverfassungsgericht angerufen hatte, mußte die Ministerin die Pressemitteilung löschen. Sie habe das  Neutralitätsgebot verletzt, urteilten die Karlsruher Richter. 

Und so zogen dann die – je nach Angabe – 5.000 (Polizei) bis 7.000 (AfD) Demonstranten am Sonnabendnachmittag relativ unbehelligt unter ihrem Motto „Rote Karte für Merkel! Asyl braucht Grenzen!“ durch Berlin-Mitte und das Regierungsviertel. Daß es den Linksextremisten nicht gelang, die Demonstration nachhaltig zu stören, geschweige denn zu blockieren, lag auch am Sicherheitskonzept der Polizei. Diese hatte die gesamte Demonstrationsstrecke, vom „Marx-Engels-Forum“ an der Karl-Liebknecht-Straße über die Straße Unter den Linden durch das Regierungsviertel bis hin zum Hauptbahnhof, „abgegittert“. Sämtliche Seitenstraßen waren mit Gittern oder quergestellten Einsatzfahrzeugen abgesperrt. Für Linksextremisten gab es damit kaum ein Durchkommen. Normale Passanten wurden von der Polizei zwar durchgelassen, doch wirkten die Straßensperren auf viele offenbar abschreckend. Der mehrfach angestimmte Ruf „Bürger stellt das Glotzen ein, reiht euch in die Demo ein“ ging auf einem Großteil der Strecke mangels Passanten ins Leere.

Erstmals zweistelliges Umfrageergebnis

Die Stimmung unter den AfD-Anhängern trübte das nicht. „Das ist meine erste Demonstration“, erzählt ein AfD-Mitglied, das mit seiner Familie aus dem Herzogtum Lauenburg in Schleswig-Holstein in die Hauptstadt gekommen ist. „Zu Pegida habe ich es bislang leider noch nicht geschafft“, sagt der Mann. Von der Demonstration der AfD erhofft er sich Aufmerksamkeit für die Positionen der Partei in der Asylkrise. „Man kann versuchen etwas zu tun, oder man läßt es“, sagt er. Für die Proteste am Wegesrand hat er kein Verständnis. „Wir sind doch ganz normale Menschen, die morgens um fünf Uhr aufstehen.“

Nicht alle Demonstranten waren indes AfD-Anhänger. Wie schon in Erfurt oder auf den Kundgebungen an den bayerischen Asylbrennpunkten Passau und Freilassingen, schlossen sich auch „einfache“ Bürger an. „Ich demonstriere mit, weil ich mir ernsthafte Sorgen um die Demokratie mache“, sagt eine 52 Jahre alte Berlinerin und zeigt Richtung Brandenburger Tor, wo das Allparteienbündnis zu einer Gegenkundgebung aufgerufen hatte. „Wenn alle einer Meinungs sind, ist das dann noch Demokratie?“ sagt die Frau, die ihre Teilnahme an der Demonstration nutzen wollte, sich über die AfD zu informieren. „Bislang habe ich noch keine Radikalinskis gesehen“, lautete ihr Zwischenfazit. Währenddessen passierte der langgestreckte Demontrationszug den Zollernhof. Den Hinweis vom Lautsprecherwagen, in dem Gebäude befinde sich das Hauptstadtstudio des „Staatsfernsehens ZDF“, quittiert die Menge mit höhnischem Gelächter und „Lügenpresse, Lügenpresse“- Rufen. Später, am Hauptstadtstudio der ARD wiederholt sich die Szene. Auch als die Demonstration schließlich das Haus der Bundespressekonferenz passiert, erschallt erneut: „Lügenpresse, Lügenpresse“. 

Am Ende hätten es die Gegendemonstranten dann doch noch fast geschafft. Als sich die AfD-Demonstration dem Platz vor dem Hauptbahnhof näherte, auf dem in Sichtweite des Kanzleramts die Abschlußkundgebung stattfinden sollte, wartete dort schon die linksextreme Antifa. Einige hundert Gegendemonstranten standen unmittelbar hinter der Bühne, nur durch die Polizisten von  den AfD-Anhängern getrennt und empfingen den Demonstrationszug lautstark.  

Dennoch es gelang ihnen nicht, die Abschlußkundgebung zu stören. Vielmehr konnten sie hören, wie AfD-Chefin Frauke Petry in ihrer Rede Bundeskanzlerin Angela Merkel scharf für ihre Asylpolitik kritisierte. Diese betreibe eine „Politik gegen das eigene Volk“. Es sei ein Skandal, daß Bürger mit einer anderen Meinung als „Pack“ und „Mischpoke“ beschimpft würden. „Frau Merkel, Sie sind fertig mit Ihrer Politik. Lassen Sie dieses Land in Ruhe.“ Es sei nun Zeit, wieder deutsche Interessen zu vertreten, forderte Petry. 

Spätestens zu diesem Zeitpunkt konnte die AfD-Spitze den Berliner Demontrationszug als Erfolg verbuchen. Für Petry war dies auch innerparteilich wichtig. Die Bundespartei hatte damit unter Beweis gestellt, daß auch sie eine große öffentlichkeitswirksame Demonstration auf die Beine stellen kann. Zuvor hatte Thüringens AfD-Chef Björn Höcke, der in Berlin krankheitsbedingt fehlte, mit seinen wöchentlichen Demonstrationen in Erfurt Tausende Bürger mobilisiert, und damit Petry parteiintern erheblich unter Drcuk gesetzt.

Am Montag konnte sich die AfD-Spitze dann erneut bestätigt fühlen: Die AfD erreichte erstmals in einer deutschlandweiten Umfrage mit zehn Prozent ein zweistelliges Ergebnis.

Foto: Spitze des AfD-Demonstrationszuges vorigen Samstag Unter den Linden in Berlin: „Wir sind doch ganz normale Menschen“