© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/15 / 13. November 2015

„Deutschland ist groß und kann es schaffen“
Politischer Unternehmer: Industrieverbandschef Ulrich Grillo sorgt als Zuwanderungslobbyist für Schlagzeilen
Jörg Fischer

Rot-grüne Politiker und Journalisten, öffentlich oder kirchlich Bedienstete und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Studenten oder rüstige Frühpensionäre – die deutschen Flüchtlingsunterstützer verorten sich meist im linken Spektrum. Die mächtigste „Refugees welcome“-Aktivistin ist allerdings Angela Merkel, die für ihre Asyl- und Zuwanderungspolitik einflußreiche Fürsprecher auf ihrer Seite weiß: Einer von ihnen ist Ulrich Grillo, Chef der Duisburger Grillo-Werke und seit 2013 Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI).

Wie einst Alfried Krupp, Hugo Stinnes oder Fritz Thyssen scheint der 56jährige Sohn des langjährigen Finanzvorstands Hans Grillo auch als politischer Unternehmer für Furore sorgen zu wollen. So initiierte das Präsidiumsmitglied der Wirtschaftsvereinigung Metalle (WVM) 2005 beispielsweise eine Rohstoff-Allianz (ARS), damit deutsche Firmen angesichts der globalen Nachfragekonkurrenz nicht das Nachsehen haben.

Als BDI-Präsident sorgt der parteilose, aber bekennende FDP-Fan Grillo jedoch mit anderen Themen für Schlagzeilen: Daß der Chef eines Metall- und Chemieunternehmens die „schlecht gemanagte Energiewende“ und „hohe Belastung des Produktionsfaktors Strom“ attackiert, gehört zum Geschäft. Mit seiner Mahnung, daß bei der Durchsetzung der Rußland-Sanktionen „betriebswirtschaftliche Erwägungen zurückzustehen“ hätten, sorgte Grillo im Frühjahr jedoch erstmals für Kopfschütteln.

In der Asylkrise paßt zwischen Grillo und die Bundespolitik kaum ein Blatt Papier. Merkels „Wir schaffen das!“ oder die grüne Parole „Kein Mensch ist illegal!“ könnten vom BDI-Chef stammen: Eine Obergrenze für Flüchtlinge sei wegen des Grundrechts auf Asyl „nicht denkbar“, bekannte Grillo im Deutschlandfunk und vorige Woche auf dem „Tag der Deutschen Industrie“ in Berlin.

„Zu viele Drückeberger im europäischen Haus“

Zwar seien die Aufnahmekapazitäten begrenzt – aber „wir müssen das organisieren“, fordert Grillo im Beratersprech seines ehemaligen Arbeitgebers A. T. Kearney. „Deutschland ist groß, und Deutschland hat viele Möglichkeiten“, behauptet der BDI-Chef. Völlig absurd ist dies nicht: Akzeptierten die Deutschen das Besiedlungsniveau Belgiens (359 Einwohner pro Quadratkilometer), könnten tatsächlich weitere 45 Millionen zusätzliche Migranten aufgenommen werden. Grillo verlangt von der deutschen wie der EU-Politik, im Schnellkurs zu lernen, „wie effizientes Krisenmanagement funktioniert und wie Grundlagen für eine nachhaltige Integration zu schaffen sind“.

Alle Länder müßten ihren Beitrag leisten, doch es gebe „noch immer zu viele Drückeberger im europäischen Haus“, kritisiert der BDI-Chef. Er kenne zwar nicht „die eine Lösung“, aber „was wir nicht tolerieren, sind Menschenfeinde und Volksverhetzer, die jetzt ihre Stunde gekommen sehen. Die Rechtsextremen, die in Dresden, auf Facebook und vor Flüchtlingsheimen Haß schüren: Sie gehören dringend in den Integrationskurs.“

Doch Grillo geht es nicht nur um „eine menschliche Verpflichtung“, sondern vor allem auch darum, „neue, teilweise qualifizierte Mitarbeiter“ dazuzugewinnen. „Wir haben ein demographisches Problem in der Zukunft. Das heißt, wir haben einen Mangel an Arbeitskräften“, behauptet der BDI-Chef, dessen Auslandserfahrungen sich bislang auf ein USA-Praktikum und vor allem diverse Geschäftsreisen beschränken.

Viele Opfer von jedem Bürger abverlangen?

Ein Blick auf seine Familiengeschichte könnte diesen Refugees-Optimismus erklären: Im 17. Jahrhundert mußten die reformierten Grillos aus dem katholisch dominierten lombardischen Veltlin-Tal fliehen – erst in die Schweiz, später ins Rhein-Ruhr-Gebiet. Der Salzkontrolleur „mit Zuwanderungsgeschichte“ Franz Georg Grillo legte mit seiner westfälischen Einheirat 1768 den Grundstein für die familiäre Erfolgsgeschichte.

Grillo weiß jedoch, daß die potentiellen Fachkräfte aus Afrika oder den muslimischen „failed states“ mit nord­italienischen Glaubensflüchtlingen wenig gemein haben und nur wenig ärztliche Fachkollegen für seine Ehefrau darunter sind. Grillo baut daher schon vor: Das Asyl-Thema werde „uns lange begleiten. Es wird uns allen viele Opfer abverlangen, der Gesellschaft, den Unternehmen, jedem einzelnen Bürger“, gibt Grillo zu. „Die Politik ist aufgefordert, das den Menschen in Deutschland klar zu sagen: Ja, wir können das schaffen.“

Ob die Angesprochenen das „mittragen“, wenn sie erkennen, daß es eher um eine potentielle industrielle Reservearmee geht, die Lohnforderungen Einhalt gebieten soll? Schon das rot-grüne „Sofortprogramm zur Deckung des IT-Fachkräftebedarfs“ (Greencard für „Computer-Inder“) und die viel weitergehende schwarz-gelbe Beschäftigungsverordnung von 2013 hatten BDI-Zuwanderungsinteressen im Blick. Auch der Kampf gegen das Betreuungsgeld war nicht feministisch begründet, sondern es ging schlicht um das dadurch für zwei Jahre ausfallende weibliche Arbeitskräfteangebot.

Beim Euro ist sich der „Freund der Europäisierung“ mit Merkel ebenfalls einig: Der gelernte Bankkaufmann warnt vor einer Rückkehr der D-Mark und einem Ende der Währungsunion, denn das „würde unserer Wirtschaft massiv schaden“. Grillo verschweigt allerdings, daß seine Firma eine Exportquote von 50 Prozent hat und die Euro-Abwertung die Wettbewerbsfähigkeit der Grillo-Werke kurzfristig stärkt. Daß die Steuerzahler über die milliardenschweren Eurorettungsmaßnahmen und dem spargeldvernichtenden Niedrigzins die Exportbranche subventionieren, stört Grillo nicht. Im Gegenteil: Auch „die gesellschaftliche Integration“ der Einwanderer ist für ihn „eine politische Aufgabe“ – sprich: Für Alphabetisierung, Familiennachzug, Krankenversicherung, Lebensunterhalt, Schulbildung oder Unterkunft soll der Steuerzahler aufkommen.





Familienunternehmen Grillo-Werke

Eine 173jährige rheinische Industrietradition, einer der zwei weltgrößten Zinkverarbeiter, 1.600 Mitarbeiter und 585 Millionen Euro Umsatz, Produktionsstandorte in Deutschland, Belgien und Frankreich, Niederlassungen in den USA, China und Südafrika – die Grillo-Werke sind ein Vorzeigeunternehmen der Old Economy, in fünfter Generation in Familienbesitz. Etwa 150 Anteilseigner aus der Grillo-Familie halten Namensaktien, die eine feindliche Unternehmensübernahme verhindern. In Duisburg gibt es die 132 Jahre alte Grillo-Villa und ein nach dem 1983 verstorbenen Unternehmenspatriarchen Herbert Grillo benanntes Altenheim, eine Gesamtschule in Marxloh und eine gemeinnützige Familienstiftung. In Essen steht das Grillo-Theater. Selbst Fritz Thyssens „Villa Anita“ und „Haus Rott“ von Hugo Stinnes gehören inzwischen zum Familienbesitz. Seit 2001 ist Herbert Grillos Neffe, Ulrich Grillo, Chef der Tochtergesellschaft Rheinzink. Drei Jahre später stieg der Unternehmensberater und frühere Rheinmetall-Manager zum Vorstandsvorsitzenden der Grillo AG mit den Sparten Metall, Chemie, Zinkoxid und Rheinzink auf.