© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/15 / 13. November 2015

Was der Bauer nicht mag, kauft er nicht
Agritechnica: Zum dreißigsten Mal findet in Hannover die weltgrößte Landtechnik-Messe statt / Die Branche schwächelt immer noch
Christian Vollradt

Seine Stimme klingt hörbar belegt: „Ich bin etwas erkältet – und die Branche ist es auch.“ Bernd Scherer, Geschäftsführer der Landtechniksparte beim Maschinenbauverband VDMA stimmt seine Zuhörer mit einem Augenzwinkern auf die weniger erfreulichen Nachrichten ein, die er ihnen zu Beginn der diesjährigen Agritechnica mitteilen muß. Die Agrartechnikindustrie steht zur Zeit nicht mehr so gut da wie noch 2013. Damals hatte Scherer zur Eröffnung der alle zwei Jahre stattfindenden weltgrößten Messe für Landtechnik verkündet, die Stimmung in der Branche könnte nicht besser sein. 

Quoten und Zölle hemmen den Export

Nun heißt es, der Boom sei vorbei; der Verband spricht von einer „konjunkturellen Schwächephase“, die man derzeit erlebe. Aber, so versichert der VDMA, es bestehe kein Grund zur Panik. Auch wenn von einer Trendwende keine Rede sein könne, bestehe doch Grund für verhaltenen Optimismus, betont Scherer. Mit knapp sieben Milliarden Euro Umsatz aus deutscher Produktion kalkuliert die Branche für 2015, das wäre ein Rückgang von zehn Prozent.

Weil die Preise vor allem für Milch und Fleisch, aber auch für Getreide im Keller sind, ist die Investitionsstimmung bei den Bauern ziemlich schlecht. Hinzu kämen „Sättigungseffekte“ auf den Schlüsselmärkten in Europa und Nord­amerika. Mehr zu schaffen, so Scherer, machten der Branche allerdings „politische Instabilität sowie ein gravierender Mangel an verläßlichen Finanzierungsinstrumenten“. Dies gelte insbesondere für die Ex-Sowjetstaaten und Brasilien. Seit 2014 gelten in Rußland eine rigide Quotenregelung und hohe Einfuhrzölle. Höchstens 420 Mähdrescher von nichtrussischen Herstellern dürfen in diesem Jahr importiert werden. Dem stemmt sich das westfälische Familienunternehmen Claas entgegen. Die Firma produziert seit 2005 im südrussischen Krasnodar und hat dort im Oktober ein zweites Mähdrescherwerk eröffnet. Doch auch Claas rechnet 2015 in Rußland mit einem Umsatzminus von 40 Prozent. 

Die Agritechnica selbst, die in diesem Jahr zum dreißigsten Mal stattfindet, ist in den Augen der Veranstalter eine reine Erfolgsgeschichte. Reinhard Grandke von der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) verkündet stolz einen neuen Ausstellerrekord. Über 2.900 Firmen und Institutionen aus 52 Ländern präsentieren sich. Damit hat sich die Zahl der Aussteller gegenüber der ersten Agritechnica verfünffacht, die der Besucher verdreifacht. In diesem Jahr rechnet die DLG mit etwa 400.000 Interessierten. 

?Häufig verwendete Messeschlagworte sind auch in diesem Jahr wieder „Precision Farming“ (Präzisionsackerbau) und die digitalisierte „Landwirtschaft 4.0“. Intelligente Maschinen, die miteinander vernetzt sind, sollen dafür sorgen, daß etwa Saatgut, Dünger sowie Pflanzenschutzmittel je nach Bodenbeschaffenheit zielgenau und so effiktiv wie möglich eingebracht werden können. Traktoren und Mähdrescher werden per Satellit gesteuert, zusätzlich unterstützen 360-Grad-Kameras oder Lasersysteme den Fahrer. 

Beim Thema Digitalisierung und Vernetzung allerdings klafft eine große Lücke zwischen dem technisch Möglichen und der Praxis. So halten sich laut DLG-Trendmonitor unter deutschen Bauern bei der Frage nach der Notwendigkeit einer Datenvernetzung für den eigenen Betrieb Zustimmung und Ablehnung in etwa die Waage. Unter 20 Prozent der hierzulande Befragten planen ein Datennutzungskonzept, unter zehn Prozent haben es bereits eingeführt. Und die deutschen Landwirte sind ziemlich skeptisch, was die Sicherheit von solchen Daten angeht: Über die Hälfte sagen, die Sicherheit sei überhaupt nicht oder nur lückenhaft gewährleistet.

Wer sich mit Bauern unterhält, spürt diese Skepis gegenüber der ausufernden Datensammlung. Schon jetzt kritisieren viele, daß sie wie kaum ein anderer Berufsstand ihre gesamte Tätigkeit umfassend dokumentieren und im Namen der „Transparenz“ offenlegen müssen. Mehr Technik könnte also mehr Überwachung und damit weniger unternehmerische Freiheit bedeuten. Andere sehen zudem die Gefahr, die digitale Revolution verstärke den Strukturwandel. Zwar könne man durch „smart farming“ effizienter und dadurch kostengünstiger produzieren. Notwendig seien jedoch zunächst einmal hohe Investitionen. „Das können sich kleine Betriebe doch gar nicht leisten“, gibt ein Landwirt aus Niedersachsen im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT auf der Messe zu bedenken.