© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/15 / 13. November 2015

Die Wirklichkeit verliert ihre Wucht
Stimmung des Augenblicks: Zum Geburtstag des französischen Impressionisten Claude Monet
Wolfgang Kaufmann

Das sei ja der reinste Impressionismus, giftete der renommierte Kunstkritiker Louis Leroy im April 1874 mit Blick auf Claude Monets Bild „Impression – Sonnenaufgang“, um dann zu dem vernichtenden Urteil zu kommen, jeder Erstentwurf für ein Tapetenmuster sei künstlerisch ausgereifter als diese grauenvolle Hafenansicht von Le Havre. Damit kreierte er unbeabsichtigt die noch heute gültige Bezeichnung für die späterhin so sehr beliebte Stilrichtung der Malerei, deren wichtigstes Merkmal in dem Vorrang der Farben vor der Form oder räumlichen Konstellationen besteht und die ganz wesentlich von Monet sowie auch von Edouard Manet und Edgar Degas geprägt wurde.

Dabei sah es zunächst gar nicht so aus, als ob der am 14. November 1840 in Paris geborene Sohn eines Kolonialwarenhändlers überhaupt zum Maler taugt. Sein Talent äußerte sich anfänglich nur in frechen Karikaturen, die freilich so gut ankamen, daß er damit schon als Schüler etwas Geld verdienen konnte. Dann aber ging Monet 1857 auf Anregung von Eugène Boudin zur Landschafts- und Porträtmalerei über. Einige der in dieser Phase entstandenen Bilder, welche man der Schule des Realismus zuordnen kann, fanden auch durchaus positive Kritiken und Käufer, viele andere fielen hingegen durch, weil sie nicht den konservativen Publikumsgeschmack der Zeit trafen, obzwar ihnen noch das Provokant-Experimentelle fehlte. Daraus ergaben sich immer wieder finanzielle Schwierigkeiten, weswegen Monet gelegentlich vor seinen Gläubigern flüchten mußte.

„Ich will die Schönheit der Luft malen“

Ebenso setzte sich der Maler mit Beginn des Deutsch-Französischen Krieges im Juli 1870 nach London ab, um der Einberufung in die Armee zu entgehen. Hier zeigte sich eines der markantesten Wesensmerkmale von Monet, nämlich seine strikte Distanz gegenüber dem Staat, die er bis zum 78. Lebensjahr wahrte. Dafür erhielt er auch nie einen Regierungsauftrag oder Auszeichnungen von seiten des Staates. Ebenso kaufte dieser keines seiner Bilder an – allerdings entschloß sich Monet dann anläßlich des französischen Sieges im Ersten Weltkrieg zu einer Schenkung. Somit war er also genau das Gegenteil all jener Künstler, die bewußt den Kontakt zu den Mächtigen suchten, um damit ihre Karriere voranzutreiben und zu Wohlstand zu gelangen.

In England lernte er die Werke des Landschaftsmalers William Turner (1775–1851) kennen und schätzen. Diese bestärkten ihn in seinem Streben, anders als bisher zu malen, wobei die ersten diesbezüglichen Versuche bereits 1866 erfolgt waren. Damals hatte Monet begonnen, mit Farben zu experimentieren, um die Stimmung des Augenblicks nachdrücklicher als bisher einzufangen. 1868 folgte mit „Der Fluß – Am Ufer der Seine bei Bennecourt“ ein erstes zweifelsfrei frühimpressionistisches Werk. Hier deutete sich an, was dann vier Jahre später mit „Impression“ zur Vollendung gelangen und die künstlerische Substanz des Impressionismus in der Malerei auf einzigartig prägnante Weise widerspiegeln sollte: die sichtbare Wirklichkeit verliert ihre materielle Wucht und Dauerhaftigkeit, die Formen der Objekte verschwimmen und haben auch keine besondere Bedeutung mehr, alles Dargestellte vibriert und reflektiert und wird zur flüchtigen Erscheinung, der der Betrachter ebenso nachspüren kann, wie dies der Künstler während des Malens im Angesicht des Motivs in der freien Natur getan hat. Oder, um es mit den Worten von Monet zu sagen: „Andere malen eine Brücke, ein Haus, ein Boot, und das war’s. Ich dagegen will die Luft malen, die die Brücke, das Haus, das Boot umgibt, die Schönheit der Luft, die diese Objekte umgibt, und das ist nichts Unmögliches.“

Faszination für den Fortschritt der Technik

Monets „Augenblicksmalerei“, wie der verständnislose Leroy den neuen Stil ebenso noch nannte, hatte allerdings nichts mit dem Wunsch zu tun, sich angesichts der fortschreitenden Modernisierung und Industrialisierung in eine andere Welt jenseits der konkreten Realität zu träumen oder zu flüchten. Ganz im Gegenteil: Der Impressionist schuf mehrere Bilder, in denen seine Faszination für den Fortschritt der Technik zum Ausdruck kam. Darüber hinaus hatte das Festhalten einer momentanen Stimmung, welche sich sehr schnell wieder ändern konnte, auch große Ähnlichkeit mit der ebenfalls innovativen Methode der Fotografie.

Während Monet also ohne Scheu mit der Zeit ging, änderte sich die Mentalität des französischen Bürgertums ab Mitte der 1880er Jahre infolge all der gesellschaftlichen, technischen und politischen Veränderungen, die in steigendem Maße als Zumutung empfunden wurden. Hieraus entstand eine wachsende Begeisterung für das Imaginäre und Visionäre, von der auch Künstler wie Monet profitieren konnten. Während „Impression“ 1874 gerade einmal 800 Francs eingebracht hatte – wobei der Erlös beim Weiterverkauf 1877 sogar noch auf 200 Francs sank –, kletterten die Preise für später gemalte Bilder, wie die von der Kathedrale von Rouen, bis 1895 auf 15.000 Francs.

Seine Sehschwäche führte zu einer hohen Abstraktion

Die letztgenannten Gemälde stehen dann auch für eine Weiterentwicklung des künstlerischen Stils von Monet. Einerseits malte er jetzt ein und dasselbe Motiv immer öfter in verschiedenen Lichtsituationen und Stimmungen, andererseits zeichnen sich die Bilder der Kathedralen-Serie, die zwischen 1892 und 1894 entstanden, auch durch eine extreme Nähe zum Motiv sowie eng begrenzte Bildausschnitte aus. Dabei liegt der Verdacht nahe, daß es sich hier um eine Konsequenz aus der Sehschwäche handelte, an der der Künstler seit längerem litt und in der manche Experten den eigentlichen Grund für die Hinwendung zum expressionistischen Malstil sehen.

Ebenso machten sich Monets Augenprobleme dann wohl 1908 während eines achtwöchigen Aufenthalts in Venedig bemerkbar, in dessen Verlauf er 37 Bilder verfertigte. Diese gerieten noch verschwommener als alles Bisherige. Zugleich freilich war ihr Abstraktionsgrad nun so hoch, daß die stilistischen Grenzen des Impressionismus gesprengt wurden. 

Gleiches gilt auch für viele der rund 200 Seerosen-Bilder, die ab 1898 im Garten von Monets Haus in Giverny, 75 Kilometer westlich von Paris, entstanden, wobei die Größe der Leinwände von einem Quadratmeter auf gigantische zwei mal sechs Meter wuchs. Ja, mehr noch: Bei den Seerosen kam es im Laufe der Zeit zu einer fast völligen Auflösung des Motivs, während die Farben ebenfalls deutlich vom natürlichen Vorbild abzuweichen begannen. 

Das war eine Folge des schließlich 1912 diagnostizierten Grauen Stars: Die durch diesen bedingte Linsentrübung führte dazu, daß der Maler nur noch wie durch einen Nebelschleier sehen konnte; dazu kamen Probleme, bestimmte Farbtöne überhaupt wahrzunehmen. Deshalb arbeitete Monet immer mehr nach Gefühl beziehungsweise mit ständigem Blick auf die Beschriftung der Farbtuben. Trotzdem willigte er erst 1923 in eine Operation ein, als ihm die völlige Erblindung drohte. Danach wiederum sah der Maler zwar so scharf wie lange nicht, klagte aber, die Welt sein nun „zu gelb, zu blau“. Außerdem behinderten ihn jetzt Depressionen bei der Arbeit. Deshalb zerstörte Monet viele Bilder aus seiner letzten Schaffensperiode.

Der Mitbegründer des Impressionismus starb am 5. Dezember 1926 in seinem Haus in Giverny. Die Todesursache soll ein Bronchialkarzinom gewesen sein, jedoch kursieren auch Gerüchte über einen Suizid. Tatsächlich war die Lebenssituation des 86jährigen alles andere als zufriedenstellend; zudem hatte der Künstler schon mindestens einmal versucht, sich selbst zu töten.

Trotz der Vernichtung von einigen seiner Schöpfungen hinterließ Claude Monet ein gewaltiges Œuvre von 1.303 Werken, darunter 1.268 Ölbildern. Damit beeinflußte er Generationen von Künstlern bis hin zu Andy Warhol und Marc Chagall, der Monet als den „Michelangelo unserer Epoche“ bezeichnete. Diese Wertschätzung seitens der Nachwelt kommt nicht zuletzt auch in den Preisen für die Bilder des Franzosen zum Ausdruck. So wurden die Gemälde „Eisenbahnbrücke von Argenteuil“ und „Seerosenteich“ 2008 im Londoner Auktionshaus Christie’s für 41,5 Millionen Dollar beziehungsweise 51,6 Millionen Euro versteigert.

Foto: Claude Monet, Impression – Sonnenaufgang, 1872: Alles Dargestellte wird zur flüchtigen Erscheinung