© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/15 / 20. November 2015

Es bewegt sich doch etwas
Zankapfel Syrien: Nach dem Attentat von Paris suchen Washington und Moskau Gemeinsamkeiten / Dissens um die Personalie Assad
Thomas Fasbender

Auch wenn es oft nicht so aussieht. Immerhin mögen sie sich. „John ist mein Freund“, ließ der russische Außenminister Sergej Lawrow über seinen US-Amtskollegen verlauten. Sympathie zählt wenig im politischen Spiel, doch sie schadet nicht. In der Sache bleibt John Kerry eisern: „Wir wollen eine politische Transformation, und Assad kann nicht deren Bestandteil sein.“ 

Die Personalie Assad bleibt auch nach der zweiten Wiener Außenminister-Konferenz am Wochenende der Stein des Anstoßes. Immerhin zeigt das erneute Treffen der 17 Minister – nach dem ersten am 30. Oktober –, daß Bewegung in die Sache gekommen ist. Vergleichsweise einig ist man sich bei den Themen Einheit und säkularer Charakter Syriens, Schutz der Bevölkerung und Suche nach einem Waffenstillstand. Begrüßt wurde die feste Haltung Frankreichs nach den Terroranschlägen am Vortag. Außenminister Laurent Fabius: „Das internationale Handeln Frankreichs wird fortgesetzt und ist gesichert.“

Der Ernst der Lage scheint nun allen bewußt

Nicht nur der IS-Terror, auch das russische militärische Eingreifen haben den Beteiligten den Ernst der Lage vor Augen geführt. Dabei geht es den Russen um weit mehr als nur Syrien. Das Engagement ist vor allem als Versuch des Kreml zu werten, seine politische Isolierung zu durchbrechen. Moskau demonstriert aber auch das neue Verständnis der russischen Rolle in einer multipolaren Welt – und die Überzeugung, daß Syrien komplett im Chaos versinkt, wenn das Alawitenregime unter Baschar Assad gestürzt würde.

Wie ernst die USA das russische Engagement nehmen, beweist die Bereitschaft, bei den Wiener Verhandlungen nicht nur Rußland, sondern auch den Iran zu akzeptieren. Alexander Baunow vom russischen Carnegie-Zentrum sieht im Entgegenkommen der Obama-Administration das Eingeständnis, daß der Westen in Syrien „eine Strategie voller Löcher“ verfolgt. Nun aber habe der US-Präsident verstanden, daß Rußland ihm sogar helfen könne, eigene Schwächen zu kompensieren.

Dazu gehört, daß die USA keine Bodentruppen nach Syrien schicken werden. Trotz der Pariser Terroranschläge haben sich in dieser Woche drei Viertel der Amerikaner dagegen ausgesprochen. Auch Moskau machte bislang keine Andeutungen, sein Basiskontingent ausweiten zu wollen. Der russische Vorschlag läuft darauf hinaus, die immer noch schlagkräftige syrische Armee in den Bodenkampf zu schicken. Auch im Westen gehen Militärexperten inzwischen davon aus, daß die syrische Armee mit internationaler Luftunterstützung gegen den Islamischen Staat (IS) deutlich effektiver wäre als ein Flickenteppich verfeindeter Rebellengruppen.

Rußland sieht seine Rolle als Verteidiger des syrischen Staats, nicht des syrischen Präsidenten. Mehr als einmal hat die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa, betont, es gehe nicht um Assad, sondern darum, „den syrischen Staat als solchen zu erhalten“. Ihr Chef Lawrow weist darauf hin, daß es die Bürger eines Landes sind, die über das Schicksal ihres Staatschefs entscheiden.

Die Anschläge in Paris könnten sich als historische Wasserscheide erweisen. Im Kern geht es darum: Richtet der IS-Terror sich maßgeblich gegen die Präsidentschaft von Baschar al-Assad (und verschwindet der IS mit Assads Abtreten)? In Moskau glaubt das niemand. Der IS gilt als Feind der abendländischen Zivilisation, als die auf al-Qaida folgende Stufe des islamistischen Terrors. 

Die Anschläge auf das russische Urlauberflugzeug über dem Sinai sowie in Paris stärken diese Überzeugung nur. Daher wird Rußland auch keiner Lösung zustimmen, die Assads Rücktritt als Vorleistung eines Friedens umfaßt. Ein Abtreten der seit 45 Jahren regierenden Dynastie al-Assad gilt als sichere Vorstufe eines Zusammenbruchs des Staatswesens – mit all seinen Folgen.

Noch ein zweiter Gedanke beherrscht die russische Politik. Warum sind der Westen, Saudi-Arabien und die Türkei so interessiert an einem Ende des pro-schiitischen Alawitenregimes? Viele in Rußland gehen davon aus, die westlich-sunnitische Allianz sehe das Land als iranischen Brückenkopf am Mittelmeer, den es zu eliminieren gelte. Das moralische Argument, wonach Assads Armee die eigene Bevölkerung bekämpfte, zieht in Rußland nicht. Moskau erinnert dabei gern an das Menschenrechtsverständnis der Saudis und der Türken. Mit dem Iran hingegen unterhält Rußland enge Beziehungen – das Land gilt als Schlüsselpartner im Mittleren Osten.

 Auch im Konflikt Schiiten gegen Sunniten stehen Moskau und Washington auf gegnerischen Seiten. Dennoch ist ein taktisches Zusammengehen der Rivalen derzeit nicht ausgeschlossen.