© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/15 / 20. November 2015

EZB-Niedrigzinspolitik läßt EU-Finanzminister jubeln
Schleichende Enteignung
Dirk Meyer

Der Bund will kommendes Jahr 316,9 Milliarden Euro ausgeben – zehn Milliarden mehr als 2015. Ob das angesichts der Zusatzausgaben für Asylbewerber gelingen kann, ist fraglich. Aber Wolfgang Schäuble hat ein As im Ärmel: Die Niedrigzinspolitik der EZB, die dem Etat seit 2013 etwa 13,2 Milliarden Euro ersparte. Die Kehrseite ist: Anlagen in Sparprodukten und Anleihen führen derzeit zu einem realen Vermögensabbau.

In einer Commerzbank-Studie über die „Schleichende Enteignung und ihre Folgen“ werden die realen Vermögensverluste seit 2009 mit 80 Milliarden Euro angegeben. In den nächsten vier Jahren sollen es weitere 100 Milliarden sein. Daß diese Verluste auch noch ertragswirksam besteuert werden, verstößt gegen die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes. Das Bundesverfassungsgericht hält jedoch weiter am Nominalwertprinzip fest.

Die EZB will mit ihrer Niedrigzinspolitik die Inflation befördern und die Kreditvergabe anregen. Beide Ziele werden bislang kaum erreicht: Die Kreditvergabe in den Krisenstaaten stagniert weiterhin aufgrund des maroden Bankensektors (Kreditklemme). Hinzu kommt eine mangelnde Rentabilität der Investitionen (Investitionsfalle) wegen unterlassener Reformanstrengungen. Lediglich Staatskredite werden angeregt, was die Schuldenquote speziell in den Euro-Krisenstaaten ansteigen läßt. Ob hier eine verbotene monetäre Staatsfinanzierung vorliegt, wird das Bundesverfassungsgericht demnächst zu klären haben. Die Risiken dieser Politik wachsen. Etwa ein Viertel der Bürger spart nicht; 40 Prozent betreiben keine private Altersvorsorge. Bei Banken und Versicherern funktionieren die Geschäftsmodelle auf der Basis der Soll-/Haben-Zinsdifferenz nicht mehr. Es besteht ein Anlagennotstand bei den Lebensversicherern. Nur höhere Risiken ermöglichen die notwendige Rendite. Das Segment ausfallgefährdeter Hochzinsanleihen ist stark gestiegen und umfaßt zehn Prozent des Kreditmarktes. Zinsänderungsrisiken belasten die Refinanzierungen von Häuslebauern und Investoren im Falle eines Zinsanstiegs.

Für Unternehmen steigen die Lasten durch Pensionsrückstellungen aufgrund des niedrigeren Kalkulationszinses. Derzeit sind nur 61 Prozent der Anwartschaften der Pensionszusicherungen der Dax-30-Unternehmen abgesichert; bei M-Dax-Firmen sank der Ausfinanzierungsgrad auf 48 Prozent. Im Durchschnitt aller Dax-Unternehmen beträgt der Anteil der Pensionsverpflichtungen an der Bilanzsumme 15 Prozent, gemessen am Eigenkapital 55 Prozent.

Allerdings fehlt bei der Commerzbank-Studie noch der Hinweis, daß es im Finanzministerium Überlegungen zur Abschaffung der Abgeltungssteuer gibt. Nach Einführung des EU-weiten Informationsaustausches ab 2017 soll der Einheitssatz von 25 Prozent durch den persönlichen Steuersatz ersetzt werden. Die staatliche Repression gewinnt an Schärfe.