© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/15 / 20. November 2015

„Für jeden kommt einer nach“
Ifo-Institut: Schonungslose Diskussion über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Einwanderungswelle
Christian Dorn

Als Angela Merkel vorigen Mittwoch in der Bundespressekonferenz das Jahresgutachten der Wirtschaftsweisen entgegennahm, konnte die Kanzlerin wieder einmal befriedigt lächeln. Auf über 400 Seiten beschönigt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung die Situation in Deutschland. Bezüglich der Flüchtlingskrise sind die fünf von der Bundesregierung berufenen Ökonomieprofessoren mit der CDU-Chefin einer Meinung: „Ja, wir schaffen das!“ Die „direkten Ausgaben der öffentlichen Hand für die Flüchtlingsmigration“ lägen 2015 lediglich bei 5,9 bis 8,3 Milliarden und 2016 bei neun bis 14,3 Milliarden Euro.

Bei der einen Tag zuvor veranstalteten Ifo-Konferenz war die Hauptstadtpresse nur spärlich vertreten. Und was die Kanzlerin bei der Leibniz-Gemeinschaft zur hören bekommen hätte, klang weniger euphorisch: Die Folgekosten der aktuellen Massenimmigration nach Deutschland werden allein in diesem Jahr bei 21,1 Milliarden Euro liegen. Dabei wird vom Ifo-Zentrum für Migrationsforschung (Cemir) von 1,1 Millionen Zuwanderern ausgegangen.

Monatliche Kosten von 800 oder 1.600 Euro?

Hinzu kämen etwa 400.000 EU-Bürger und 100.000 bis 300.000 Illegale. Die Ifo-„Vollkostenrechnung“, in der sich auch die Ausgaben der Kommunen, der Verwaltung oder der Krankenversicherung finden, lägen monatlich bei etwa 1.600 Euro pro Person. Die Wirtschaftsweisen rechnen nur mit Asylbewerberleistungen von 800 Euro monatlich und anschließenden Hartz-IV-Leistungen von 550 Euro. Für Qualifizierungs-, Integrations- oder Sprachkurse werden lediglich 2.000 Euro jährlich angesetzt.

Das dürfte kaum ausreichen, um den „erheblichen Qualifikationsbedarf“ der Flüchtlinge zu finanzieren. „Die Arbeitsmarktintegration sollte hohe Priorität genießen, da sie ein wichtiger Schritt für die gesellschaftliche Integration der anerkannten Flüchtlinge ist“, schreiben die Regierungswissenschaftler. Doch etwa 40 Prozent der vom Ifo-Institut befragten Firmen in Westdeutschland halten Flüchtlinge nur als Hilfsarbeiter für verwendbar. Die Zahlen für Ostdeutschland liegen noch deutlich darüber.

„Die deutsche Sprache lernt man am besten bei der Arbeit, im Betrieb“, empfiehlt Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn. Etliche der jungen Flüchtlinge seien „völlig desinteressiert an Deutschkursen, die wollen Geld sehen und Arbeit“. „Absolut erforderlich“ sei, die Zahl der zu uns Kommenden zu begrenzen. Zudem müsse der Mindestlohn aufgehoben werden. Andernfalls würden etliche in die Arbeitslosigkeit gedrängt. Opfer der Arbeitsmarktintegration seien geringqualifizierte Einheimische. Dies dürfe nicht geleugnet werden, es gehe „um die Fakten, nicht ums Moralisieren“.

Das Dilemma sei: „Wir brauchen die richtigen Immigranten, die überdurchschnittlich qualifiziert sind und die überdurchschnittlich in das System einzahlen.“ Deutschland sei aber seit 2005 von einer Nettoemigration betroffen, bei der in der Regel Hochqualifizierte auswanderten. Gleichzeitig kämen extrem schlecht Qualifizierte ins Land. Tatsächlich, so Sinn mit Blick auf die akute Zuwanderung, „kosten die Leute per Saldo mehr als sie bringen“. Dies sei zweifellos ein „Minusgeschäft“. Für ihn sei völlig unverständlich, daß die Bertelsmann-Stiftung aus der von Holger Bonin (Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, JF 50/14) erstellten Studie über die fiskalischen Auswirkungen der Zuwanderung herausgelesen habe, der Sozialstaat profitiere davon.

Die Frage laute doch: „Wie viele Sozialhilfeempfänger verkraftet ein Staat, bevor er zusammenbricht?“ Auch sei es unrealistisch, mit den vermeintlich vielen unbesetzten Ausbildungsplätzen zu argumentieren. Die 40.000 unbesetzten Lehrstellen im Jahr reichten nicht für die mehr als 1,4 Millionen Immigranten. Gleichwohl werde sich die Immigration auf die Entwicklung im unteren Lohnsektor auswirken, wo für 2015 mit einer Senkung des Entgeltniveaus um 1,5 Prozent zu rechnen sei. 

Gleichwohl gehört Sinn zu jenen Ökonomen, die Einwanderung aus demographischen Gründen für notwendig halten. Damit diese aber zu einem Nettogewinn werde, müsse – analog zum kanadischen Punktesystem – ein Einwanderungsgesetz für gut ausgebildete Immigranten entwickelt werden. Panu Poutvaara, Leiter des Ifo-Zentrums für Internationalen Institutionenvergleich, legte hierzu empirisch dar, daß eine Migration, die auf unterschiedlichen Sozialleistungen beruht, ökonomisch ineffizient sei. Positiv beurteilt der Finne Migration, wenn sie auf Produktivitätsunterschieden basiere. So seien die Schweiz und die USA die wichtigsten Zielländer für deutsche Hochqualifizierte. Sein Fazit: Wer geht, ist gebildeter als die, die bleiben!

Gabriel Felbermayr, Leiter des Ifo-Zentrums für Außenwirtschaft, brachte es auf den Punkt: „Hochqualifizierte gehen, Geringqualifizierte kommen.“ Gewinner seien etwa Bauunternehmer, Verlierer entsprechend geringqualifizierte Einheimische. In diesem Zusammenhang räumte der österreichische Ökonom mit den Irrtümern der „Immigration Surplus“-These auf. Diese blende die Verlierer des Integrationsprozesses aus, was durch das Gebot der „Nicht-Diskriminierung“ noch verschärft werde.

Merkels Willkommenskultur führe zur „Wildwestkultur“

Nicht berücksichtigt würden die fiskalischen Kosten, wenn Einwanderer weniger verdienen und häufiger arbeitslos sind. Beispielhaft hierfür war die von Felbermayr vorgestellte Bilanz für die fiskalische Belastung bei einer Annahme von einem Nettozuzug von 200.000 Personen jährlich. Bei einer Qualifikation wie der ausländischen Bevölkerung hierzulande verursache dies ein Defizit von zehn Milliarden Euro. Eine ungeheure Kostenexplosion ließen die Zahlen über den Qualifikationsstand der syrischen Flüchtlinge erahnen. So hätten Studien in den Flüchtlingslagern der Türkei ergeben, daß 15 Prozent Analphabeten und weitere acht bis zehn Prozent ohne Schulabschluß sind. Insgesamt etwa 60 Prozent besitzen demnach weniger als acht Jahre Schulbildung und kommen daher für eine Lehrlingsausbildung in Deutschland erst gar nicht in Frage.

Das einzig offene Ohr für die schonungslose Ifo-Analyse hatte von den Bundestagsparteien offenbar nur die CSU. Und Fraktionsvize Hans-Peter Friedrich redete Klartext: „Wir neigen dazu, die Dinge schönzureden, dann reden wir von Bereicherung.“ Die Vorstellung, „daß wir mit 65 Jahren in Rente gehen und junge Afrikaner unsere Rente bezahlen, ist völlig abwegig“, so der frühere Bundesminister. Friedrich lobte Spanien, das durch bilaterale Abkommen mit den Herkunftsstaaten die Asylquote um 75 Prozent gesenkt habe. Alle Flüchtlingsboote würden dort zurückgeschickt und die Schlepper verfolgt.

Es gäbe daher keine Alternative, als die EU-Grenzen zu sichern. „Der einzige, der das tut, ist der von so vielen gehaßte Viktor Orbán.“ Die Ungarn hätten jetzt fünf Asylanträge pro Tag. Friedrich gestand ein, daß die Bundesregierung mit ihrer Entscheidung, auf alle Syrer die Genfer Flüchtlingskonvention anzuwenden, das Chaos herbeigeführt hat. Grenzpolizisten in Bayern würden von den hereinströmenden Massen einfach überrannt: „Erklären Sie das mal einem US-Sicherheitspolitiker“, gab Friedrich zu bedenken. Inzwischen wird allerdings auch Paris fragen, ob Deutschland sich noch anmaßen kann, anderen EU-Ländern vorzuschreiben, was sie bei der Grenzsicherung zu tun haben.

Noch deutlicher wurde Ifo-Präsident Sinn in der Diskussionsrunde: „Diese ganze Willkommenskultur hört sich so furchtbar humanitär an, hat aber erst zu den Flüchtlingsströmen geführt, die wir haben.“ Denn „das ist das Problem der Willkommenskultur: Für jeden, der hier ankommt, kommt einer nach!“ Der „große Denkfehler der deutschen Politik“ sei die Idee, daß offene Grenzen ein Ausdruck von Liberalität und Freizügigkeit seien. In Wirklichkeit aber sei Deutschland ein „Klubgut“. Das Eigentumsrecht des deutschen Staates an seinem Boden sei eine Grundvoraussetzung, sonst drohe eine Wildwestkultur. Die Grenze um ein Staatsgebiet spiele eine ähnliche Rolle „wie die Wohnungstür – ich muß selber entscheiden, wer reinkommt“. Was jetzt mit Hunderttausenden illegalen Einwanderern passiere, sei ein „unerträglicher Zustand“.

„Jahresgutachten 2015/16“: sachverstaendigenrat-wirtschaft.de 

Ifo-Konferenz Migration und Europa:  www.ifo.de