© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/15 / 20. November 2015

Dorn im Auge
Christian Dorn

Auf den Straßen häuft sich die Zahl der SUV-Modelle. An der Rückfront eines solchen Geländewagens klebt frühmorgens ein großer DIN-A4-Zettel, er kann also nicht vom Ordnungsamt stammen. Die Überwachung übernimmt jetzt schon die anonyme Nachbarschaft. Die Frage auf dem hinter den Scheibenwischer geklemmten Zettel: „Warum ist dein Auto so fett?“ läßt erahnen: Hier beginnt die neue Autoreflexivität. Das Bewußtsein des Neuen Menschen ist eine gemeinschaftliche Aufgabe – eine Absage an die Gesellschaft, mithin deren „Aufgabe“.

Bei der Zeitungslektüre im Café stoße ich auf einen Beitrag über den „Mythos vom fleißigen Deutschen“. Demnach belegten die Statistiken, daß wir Deutsche weniger arbeiteten als andere, doch in derselben Zeit mehr schaffen würden. Den linksintellektuellen Café-Besuchern, die hier täglich ihre Zeit „verlesen“, ist diese Definition von Leistung längst abhanden gekommen. Dies zeigt sich beim Paar neben mir, als gerade der Verkäufer mit der Obdachlosenzeitung den Café-Gästen glücklos seinen Straßenfeger wie Sauerbier angeboten hatte und enttäuscht weitergelaufen war. Darauf die Frau: „Ach, der tut mir so leid, daß der keine Arbeit findet.“ Darauf belehrt sie ihr Freund: Nein, das sehe sie falsch. Jede regelmäßig ausgeübte Tätigkeit sei Arbeit. Und dieser Mann, der immer die Obdachlosenzeitungen verkaufe, habe dadurch eine richtige Arbeit. – Ist das jetzt das Arbeits-Los oder das Würde-Los?

Im Einkaufszentrum an der Schönhauser Allee verhaftet die Polizei zwei jugendliche „Fachkräfte“, die das Handwerk des „shoplifting“ augenscheinlich noch nicht ganz beherrschen. Ich schüttele den Kopf: Wie soll die Integration gelingen, wenn die jungen „Flüchtlinge“ bereits bei ihrer Ausbildung behindert werden?

Erinnerung an den letzten Abend beim Italiener. Die Griechen haben gerade abgestimmt, da bricht ein unheimliches Gewitter aus dem nächtlichen Himmel. Als hätten die Hellenen Zeus die Vollmacht erteilt, jetzt zurückzuschlagen. Der Mann am Nachbartisch ergänzt: Der Blitz ziele auf das Haus der Herrscherin am Pergamonmuseum, eine Hausnummer neben der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. Von Inszenierungskünsten verstehen die vier am Nachbartisch etwas, alle scheinen aus dem Theaterbereich zu kommen. Die eine Schauspielerin berichtet von den Vorzügen ihrer Intendantin, darauf die andere: „Die wäre eine gute Frau für Deutschland!“ Darauf die erste, das Arbeitscredo ihrer Chefin kritisierend: „Nein, die ist doch krank.“