© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/15 / 20. November 2015

Politik, Macht, Geschichte
Meinungspreis contra Forschungspreis: Die SPD nominiert „Schweinfurt gegen Geschichtsfälschung“ für ihren Protest gegen den Historiker Stefan Scheil
Matthias Bäkermann

Die SPD kann Geschichte. So hätte der frühere Parteivorsitzende Müntefering diesen Anspruch im Ruhrpott-Slang auf den Punkt gebracht. Immerhin brüsten sich die Sozialdemokraten mit einem eigenen Historikerpreis, der nach Wilhelm Dröscher, einem SPD-Schatzmeister der Nachkriegszeit, benannt ist und – mit stolzen 15.000 Euro dotiert – alle zwei Jahre auf dem Bundesparteitag verliehen wird.

Dieses Jahr wurden für die Preisvergabe am Berliner SPD-Parteitag in der zweiten Adventswoche drei Genossen aus Franken für den Wilhelm-Dröscher-Preis nominiert: die bayerische Landtagsabgeordnete Kathi Petersen, der Schweinfurter Stadtrat Stephan Kuserau und der dortige Vize des SPD-Kreisverbandes, Peter Steinmüller. Die Theologin, der Gewerkschaftsfunktionär und der Kommunikationstrainer brauchten dafür aber keine intensivere Forschung anzustrengen, sondern es reichte ihre wortführende Mitgliedschaft in der Initiative „Schweinfurt gegen Geschichtsverfälschung“, in der die meinungsstarken Geschichtspolitiker vom Main vergangenes Jahr gegen einen anderen Historikerpreis zu Felde gezogen waren. 

Zu ihrem Leidwesen hatte nämlich die Schweinfurter Erich-und-Erna-Kronauer-Stiftung, die ebenfalls alle zwei Jahre herausragende wissenschaftliche Arbeiten von Historikern mit einem 10.000-Euro-Preis prämiert, 2014 den Historiker Stefan Scheil ausgezeichnet, der sich seiner Promotion 1997 vor allem auf die europäische Außenpolitik des 20. Jahrhunderts spezialisierte. 

Aufmerksamkeit erregte Scheil mit seiner 2003 erschienenen Studie „Fünf plus Zwei“, in der er das politische Beziehungsgeflecht in Europa vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges untersuchte und insbesondere dem autoritären Warschauer Regime mit seiner aggressiven Außenpolitik eine Mitschuld an der Eskalation nachwies. Für die Experten aus Franken sind diese Forschungsergebnisse „Geschichtsrevisionismus, deren Ziel es sei, die Schuld Nazideutschlands am Zweiten Weltkrieg zu leugnen oder zu relativieren, indem Nazi-Greuel gegen andere aufgerechnet werden“. Letzteres Diktum hatte sich Scheil allein damit verdient, daß er auf die polnischen Pogrome gegen die volksdeutsche Minderheit in den ersten Kriegstagen 1939 hingewiesen hatte, die später als „Bromberger Blutsonntag“ Einzug in Goebbels Propaganda fanden, deren Opferzahl von mindestens 5.000 Ermordeten aber als unbestritten gelten und durch Akten belegt sind.

Nominierte verweisen auf die Gefahr durch Pegida

Auf dem Höhepunkt ihrer Kampagne gegen Scheil bekamen die nie vom Staub der Archive kontaminierten Genossen auch von höherer Instanz argumentative Schützenhilfe. So applaudierte 2014 der Berliner Antisemitismusforscher Wolfgang Benz, dessen wissenschaftliche Vita eher von geschichtspolitischer Analyse als archivarischer Kärrnerarbeit geprägt ist, dem schuldstolzen Trio. Die ausgezeichnete Arbeit des Kronauer-Preisträgers Scheil, dem Benz zuvor in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft immerhin „gute Quellenkenntnis“ attestieren mußte, bezeichnete er als schiere „Ideologieproduktion“.

Nun buhlen Petersen & Co., denen es im vergangenen Jahr trotz großen medialen Trommelwirbels der Regionalpresse nicht gelang, daß die Stadt Schweinfurt der Kronauer-Stiftung das Rathaus für deren Zeremonie kündigte, mit einem flotten aktuellen Verweis um die 15.000 Euro: Das „Hofieren der Ideologieproduzenten“ verhelfe einer „rechten Einstellung zur Normalität“. Und „damit wird Pegida & Co. der Boden bereitet“.