© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/15 / 20. November 2015

Frisch gepresst

Flüchtlinge. Im Jahre 1731 vollzog Firmian, Erzbischof von Salzburg, die Gegenreformation in seinem Bistum in besonders brutaler Weise: 22.000 evangelische Salzburger wurden innerhalb kurzer Frist aus dem Land getrieben. Die meisten von ihnen fanden in Ostpreußen eine neue und anfangs entbehrungsreiche Heimat, wo dem preußischen König ihre „Peuplierung“ in der durch die Pest entvölkerten Gegend um Gumbinnen gerade recht kam. Dort, in Preußisch-Litauen, war die Not groß: Klagen über das Chaos und den Schmutz, die Arbeitslosigkeit und nicht zuletzt über die wenigen „diebischen“ und neidischen Altbewohner sind häufig. Ein paar hundert Salzburger führte ihre Odyssee bis nach Amerika, wo sie in Georgia die Gemeinde Eben-Ezer gründeten. Der Journalist Christoph Lindenmeyer offenbart ihr Schicksal an Pregel und Savannah-River in einer packenden historischen Erzählung, die sich aus historischen Quellen wie Tagebüchern und Briefen der Emigranten speist. (bä)

Christoph Lindenmeyer: Rebeller, Opfer, Siedler. Die Vertreibung der Salzburger Protestanten. Verlag Anton Pustet, Salzburg 2015, gebunden, 335 Seiten, 24 Euro





Anarchie. Wer Anarchismus mit bombenden Zarenmördern verbindet, liegt nicht ganz falsch, heftet das Phänomen aber etwas leichtfertig im 19. Jahrhundert ab. Beweist doch schon jede kleine Steuerhinterziehung, jede Mißachtung einer roten Ampel, wie zeitlos und lebendig das Bedürfnis von Menschen ist, sich staatlich fixierten Regeln zu entziehen. Da somit die „Lust auf Ohnestaat“ keinesfalls auf russische Ideengeber wie Michail Bakunin oder Pjotr Kropotkin beschränkt ist, kann die von Peter Seyferth herausgegebene Aufsatzsammlung eine erstaunliche Spannbreite anarchistischer Theorien von den Klassikern wie Bakunin bis zur „Occupy Wall Street“-Bewegung entfalten. Will man dem israelischen „Aktivisten“ Uri Gordon glauben, dessen Beitrag den Band beschließt, führt eine Kombination von „Peak Oil, galoppierendem Klimawandel und abgewertetem Spekulationskapital“ demnächst zum Zerfall des globalisierten Kapitalismus und der industriellen Zivilisation, womit alle „staatlich organisierte Bevormundung“ ende. Auf deren Ablösung durch Strukturen „selbstbestimmten Miteinanders“ habe sich die anarchistische Bewegung seit dem „weltweiten Aufbegehren von 1968“ vorbereitet. (wm)

Peter Seyferth (Hrsg.): Den Staat zerschlagen! Anarchistische Staatsverständnisse. Nomos Verlag, Baden-Baden 2015, broschiert, 306 Seiten, 49 Euro