© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/15 / 27. November 2015

Eine Demütigung für die Geschichtsbücher
Asylkrise I: Der CSU-Parteitag hat deutlich wie selten zuvor gezeigt, wie belastet das Verhältnis zur CDU mittlerweile ist
Hinrich Rohbom

Dieser denkwürdige Parteitag geht in die Geschichte der CSU ein. Daß der Empfang für die Kanzlerin in der Münchner Messehalle C1 kühl werden würde, war jedem klar. Er sollte jedoch nicht kühl, sondern eisig werden. Als die Limousine vorfährt und Angela Merkel aus dem Wagen steigt, nimmt sie zunächst nicht Horst Seehofer, sondern strömender Regen in Empfang. Der bayerische Ministerpräsident bleibt auf dem trockenen Teil des blauen Teppichs stehen. „Das Wetter war auch schon mal freundlicher“, raunt Merkel zweideutig dem CSU-Chef entgegen. Kein guter Gesprächsanfang.

Die CDU-Vorsitzende passiert die Eingangstüren. Und gerät vom Regen in die Traufe. Die Junge Union hat sich hier versammelt, hält ihr grüne und blaue Pappschilder entgegen. Es sind jene, die die JU Bayern schon auf dem Deutschlandtag der Nachwuchsorganisation in Hamburg zum Protest gegen den Asylkurs der Kanzlerin gezeigt hatte. „Transitzonen einführen“, „Zuwanderung begrenzen“ und „Klarer Kurs? Nur mit der CSU“ steht darauf.

Streit um Obergrenze für Asylbewerber

Bevor Merkel die Gruppe der Protestler erreicht, biegt sie scharf links ab. Es wirkt fast wie eine Flucht, als sie, gefolgt von Seehofer und einem Troß von Mitarbeitern und Sicherheitsleuten, die Treppe zur Presselounge hocheilt, um sich in einem Nebenzimmer erst einmal mit Seehofer zu besprechen. Das hatten sie eigentlich schon in der Nacht vor dem Parteitag getan, als sie zwei Stunden telefonierten. Thema: die Asylkrise. Merkel hatte wissen wollen, was sie auf dem Parteitag erwarte. Seehofer versicherte ihr einen freundlichen Empfang. 

Doch davon ist bei ihrem musikunterspielten Einzug ins Plenum nichts zu spüren. Der Beifall für sie: lustlos, gezwungen. Und mehr als verhalten. Ähnlich verhält es sich mit ihrer Rede. Uninspiriert, emotionslos. Sie freue sich, auf dem CSU-Parteitag zu sprechen, sagt sie mit mürrischem Gesicht. „Das war schon mal die erste Lüge“, ruft jemand von hinten in den Saal. Die Kanzlerin spricht weiter. Unmotiviert liest sie ihre Rede vom Manuskript ab. Die Gesichter in den Delegiertenreihen werden zusehends finsterer. Ein von der CSU-Basis sehnlichst erwartetes Entgegenkommen bezüglich einer Flüchtlingsobergrenze: Fehlanzeige. Selbst große Teile der CSU-Führungsriege spenden ihr keinen Beifall.

„Die Rede der Kanzlerin war wieder einmal nur eine Aneinanderreihung von Phrasen und Platitüden“, kritisiert David Bendels, Sprecher des Konservativen Aufbruchs in der CSU. Merkel sei offensichtlich nicht bereit, ihre rechtswidrige Grenzpolitik zu beenden. Um so wichtiger sei es daher gewesen, daß Horst Seehofer sie in die Schranken gewiesen habe.

Und wie er das tat. Der bayerische Ministerpräsident ergreift nach dem gerade einmal 20minütigen Grußwort der Kanzlerin das Mikrofon, betont mehrfach, daß die CSU an der Forderung nach einer Obergrenze festhalte. Zum ersten Mal seit Merkels Ankunft brandet kräftiger Beifall auf. Eine Ohrfeige für die CDU-Chefin. Die Hände mal zur Raute gefaltet, mal vor der Brust verschränkt verfolgt sie mit finsterem Blick die zehn Minuten andauernden Ausführungen Seehofers, der sie – so der verbreitete Eindruck im Saal – wie ein Schulmädchen dastehen läßt, dem er eine Standpauke erteilt. „Du weißt, daß wir an der Obergrenze arbeiten“, sagt der 66jährige in Richtung Kanzlerin. Die hebt erstaunt die Augenbrauen. Wenn Blicke töten könnten, Seehofer wäre jetzt in Lebensgefahr.

Es kommt noch dicker. Am Ende überreicht der CSU-Vorsitzende der Kanzlerin Blumen. Merkel nimmt sie, übergibt sie umgehend einem Mitarbeiter und läuft von der Bühne. Gespenstische Stille. Kein Applaus, keine Musik. Die Kanzlerin verschwindet durch einen Seiteneingang. Eine Demütigung. Feixende, grinsende, aber auch irritierte und nachdenkliche Gesichtsausdrücke unter den Delegierten, unter denen aber viel Zustimmung zu Seehofers Aktion herrscht. „Es wurde auch mal Zeit, daß jemand der Merkel Grenzen aufzeigt“, faßt ein niederbayerischer Delegierter die Stimmung zusammen. „So wie jetzt kann es in der Flüchtlingsfrage ja wohl auch nicht mehr weitergehen“, sekundiert ein CSU-Mann aus Oberfranken.„Das ist schon recht, daß der Seehofer bei seiner Linie bleibt“, legt ein Kommunalpolitiker aus der Grenzregion zu Österreich nach. „Aber es muß nun auch mal was dabei rumkommen. Es wird viel geredet, aber es passiert einfach zuwenig. Das geht nicht mehr lange gut.“

Aus dieser Perspektive war Seehofers  Wiederwahl bereits ein Warnschuß. Mit 87,2 Prozent wird der CSU-Chef in seinem Amt bestätigt. Vor zwei Jahren waren es noch über 95 Prozent. Das sei die Rache der „Merkelianer“, von denen es auch in der CSU einige gebe, lautet eine Deutung in der Halle. Andere sehen aber auch die Abkanzelung des bayerischen Finanzministers Markus Söder durch den Ministerpräsidenten als Grund. Seehofer hatte seinen potentiellen Kronprinzen kritisiert, nachdem dieser nach den Anschlägen in der französischen Hauptstadt „Paris ändert alles“ getwittert und die Schließung der Grenzen gefordert hatte. „Da verstehe ich unseren Ministerpräsidenten nicht, der Söder hat doch recht“, ist bei vielen Delegierten zu hören. So fällt der Beifall auch besonders lang und stark aus, als Seehofer lobende und versöhnliche Worte für Söder findet.

Überlegungen einer bundesweiten CSU erteilte Seehofer hingegen eine Absage. „Die Trennungsverluste wären größer als die Trennungsgewinne“, warnte er. Vielmehr müsse die CSU mit ihren Zielen in die CDU hineinwirken. Ein Unterfangen, dessen Erfolg bisher überschaubar ist. Nicht nur, daß die Kanzlerin selbst auf dem CSU-Parteitag keine Zugeständnisse machte. Die bereits als Kompromiß zwischen den Unionsparteien ausgehandelten Transitzonen sind schon wieder vom Tisch.

„Ja, wir müssen die CDU bearbeiten. Aber wenn wir merken, das bringt alles nichts, darf auch eine Trennung kein Tabu mehr sein“, meint ein CSU-Funktionär. Bis Ende des Jahres müsse es eine Lösung zur Flüchtlingsbegrenzung geben. Anderenfalls müsse die CSU eigene Wege gehen. „Sonst vertrauen uns die Bürger nicht mehr. Dann treiben wir der AfD die Wähler in die Arme.“