© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/15 / 27. November 2015

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Wattiges Gesäusel
Cornelius Persdorf

Den „großen Herausforderungen“, von denen die Grünen oft am Rednerpult des Bundestages sprechen, begegnet die Partei am liebsten auf der Gefühlsebene. „Mut im Bauch“ gegen „diffuse Ängste“, heißt es dann. Das hat den schmeichelhaften Marketingvorteil, „jünger und weiblicher“ als die politische Konkurrenz zu wirken. 

Das Logo auf der Bühne der Bundesdelegiertenkonferenz in Halle am vergangenen Wochenende changierte passend dazu zwischen Facebooks „Gefällt mir“-Ikone mit montiertem Windrädchen und satter Biene-Maja-Idylle. Das einzige steinharte Motiv war ein schwarzer Block mit der Aufschrift „Nazis raus“. Gefühlig, bunt und weiblich – bekanntlich die Stärken Claudia Roths. Der knallbunte Urgesteinsfels in der grünen Brandung philosophierte über „unsere Rolle in einer Welt in Unordnung, in Tagen der Trauer, der Verunsicherung, der Angst in unserem Land“, das gesegnet sei mit einem „nie dagewesenen zivilgesellschaftlichen Engagement“, wie Roth mit Mut zum Superlativ schwärmte, ehe sie endlich das Modewort „Empathie“ in den Mund nahm. 

Mitgefühl zeigte auch die Fraktionschefin der Bundestagsfraktion, Katrin Göring-Eckardt – hauptsächlich zu sich selbst. „Es ist nicht lange her, da habe ich am Strand von Lesbos gestanden“, begann sie das Heldenlied über ihre Tröstungsaktion auf der Insel der europäischen Peripherie. Am Ende klang es jedoch wie ein Rechtfertigungslamento. Doch auch Göring-Eckardts Lesbos-Lyrik täuschte nicht darüber hinweg, daß wattiges Gesäusel Raum für Paukenschläge läßt: Cem Özdemir sagte anläßlich des Terrors in Paris, er könne „es nicht mehr hören, wenn der eine oder andere Islamvertreter quasi ritualisiert erklärt: Das alles hat nichts mit dem Islam zu tun.“ Zwar sei es falsch, Terror mit einer ganzen Religion gleichzusetzen, sagte Özdemir. „Aber es wird doch nicht besser, wenn man über die Probleme, die man hat, nicht redet und sie ignoriert.“ 2015 müsse es möglich sein, seiner Religion auch gegen den Willen „der Imame und Muftis dieser Welt“ den Rücken zu kehren. Türkisch-stämmige Grüne dürfen so reden. 

Ruhiger, aber genauso linienuntreu sprach auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann zum Thema Asyl: „Nicht alle, die zu uns kommen, können auch hier bleiben“, mahnte „Der Kretsch“ wie weiland Angela Merkel, nur ohne weinendes Arabermädchen. „Jene, die nicht politisch verfolgt oder einem Bürgerkrieg entflohen sind, müssen in ihre Heimat zurückkehren.“ Der Klartext floß weiter: „Wir beraten sie, wir räumen ihnen die Möglichkeiten ein, freiwillig zurückzukehren, aber wenn sie das nicht tun, dann führen wir sie zurück.“ 

Die mahnenden und kernigen Wortbeiträge Cem Özdemirs und Winfried Kretschmanns zeigten, wer die kleinste Oppositionspartei derzeit intellektuell tatsächlich führt. Damit zeichnet sich etwas ab, was die Grünen langfristig vermeiden wollten – doch wieder eine Führung von „weißen Männern“. Trotz knallbunter Lillifee-Optik.