© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/15 / 27. November 2015

Allgemeine Verunsicherung
Terrorwarnungen: Nach der Länderspielabsage in Hannover ist die Diskussion über die Gefährdungslage voll entbrannt
Christian Schreiber

Viel hatte die Bundeskanzlerin in der vergangenen Woche nicht zu sagen. Knappe zwei Minuten dauerte ihr öffentlicher Auftritt im Kanzleramt. Dabei betonte Angela Merkel, daß sie die Sorgen ihrer Landsleute verstehe, sie versicherte aber, daß die Behörden die Lage im Griff hätten: „Wir können auch in Zukunft Großveranstaltungen durchführen.“ 

Die Absage des Fußball-Länderspiels zwischen Deutschland und den Niederlanden hat die Bundesrepublik in ihrem Selbstverständnis getroffen. Plötzlich sind die Terrorszenarien, die weit weg schienen, greifbar nahe: „Es bleibt bei der grundsätzlichen Einschätzung, daß wir in Deutschland eine ernstzunehmende aktuelle Bedrohungslage insgesamt haben, aber darüber hinaus haben wir jetzt keinen konkreten Hinweis auf ein weiteres Ziel“, erklärte zwar der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch, aber Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen ist da schon weitaus skeptischer:  Das Szenario von Paris könnte auch in Deutschland durchaus Realität werden, ließ er am Rande der Herbsttagung des BKA durchblicken.

Offenkundig sind Sicherheitsexperten und Behörden uneinig. Dies mag auch mit den Abläufen in Hannover zusammenhängen. Offenbar hatte der französische Geheimdienst ernstzunehmende Hinweise, daß mehrere Bombenanschläge geplant waren. Allerdings wurde zumindest nach offiziellen Verlautbarungen kein Sprengstoff gefunden. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verwunderte zudem mit der Aussage, daß er nicht die volle Wahrheit sagen könne, „weil ein Teil dieser Antwort die Bevölkerung verunsichern“ würde. Die angespannte Sicherheitslage in Deutschland werde sich auch  nicht so schnell ändern: „Die Terrorgefahr wird längere Zeit bestehenbleiben“, sagte er.

Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Roger Lewentz (SPD), sah dagegen keine konkreten Terrorhinweise für andere Orte in Deutschland. Die Bedrohung in Hannover sei „sehr isoliert“ gewesen, sagte der rheinland-pfälzische Innenminister. Für künftige Fußballspiele, Weihnachtsmärkte und Karnevalsumzüge lägen keine Hinweise auf geplante Anschläge vor: „Die Polizei ist in höchster Bereitschaft. Ich appelliere  an die Bevölkerung, Ruhe zu bewahren und zum Beispiel verdächtige Koffer den Sicherheitsbehörden zu melden.“

Gewerkschaft fordert  robuste Bewaffnung

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) wies daraufhin, daß sich die Sicherheitslage täglich ändern könne, es wäre aber ein Triumph für Attentäter, wenn es keine Rockkonzerte oder Fußballspiele mehr gäbe. Vollständige Sicherheit könne es nicht geben: „Gegen das Sprengen von Sprengstoffgürteln gibt es keine Konzepte“, sagte er der Tagesschau und widersprach zugleich Forderungen nach schärferen Gesetzen. Aus Kreisen der CDU wurde ein härteres Vorgehen gegen sogenannte Haßprediger gefordert, auch eine Ausweitung der Vorrats- beziehungsweise Fluggastdatenspeicherung wurden angeregt. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) möchte die Bundeswehr verstärkt im Inneren einsetzen. „Wenn wir eine Situation hätten wie Paris, möglicherweise mit Anschlägen an drei bis vier Orten, wird man darüber nachdenken müssen, ob unsere polizeilichen Fähigkeiten ausreichen“, sagte er der Rheinischen Post. 

Denn im Zuge der neuen Sicherheitsdebatte wird auch die Einsatzfähigkeit der Polizei diskutiert. In den vergangenen Jahren sind bundesweit mehrere tausend Stellen abgebaut worden. Unter dem Eindruck des Attentats auf die Redaktionsräume des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo im Januar sowie aufgrund der aktuellen Asylkrise hatten einzelne Länder den Personalabbau aber gestoppt. Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, sieht seine Mannen an der Grenze der Belastbarkeit: „ Auf eine direkte Konfrontation mit so schwer bewaffneten und auch kriegserfahrenen Attentätern sind wir denkbar schlecht vorbereitet“, sagte er dem ZDF. Die Einsatzkräfte täten schon jetzt alles, was sie könnten, um die Sicherheit so gut wie möglich zu gewährleisten. Sie stießen aber auch an ihre Grenzen. 

Er verwies dabei auf die Konsequenzen, die die Vereinigten Staaten aus den Anschlägen vom 11. September 2001 gezogen hätten. „Dort wird wesentlich mehr Geld in die Ausstattung der Sicherheitsbehörden investiert“, sagte Wendt. Notwendig seien eine robuste Bewaffnung und Ausstattung sowie Training, um gegen mögliche Attentäter gewappnet zu sein: „Wir reden von Tätern, die man mit nichts bedrohen kann.“ 

In den entscheidenden Gremien herrscht unterdessen hektische Betriebsamkeit. Die Zeit berichtet, daß alleine bei der Bundespolizei in den kommenden drei Jahren rund 3.500 neue Stellen entstehen sollen. Dazu soll ein weiteres Ausbildungslager eingerichtet werden. Zusätzlich sollen 250 Polizisten eine Elite-Einheit zur Terror-Bekämpfung bilden, die die GSG 9 unterstützen soll. 

Bei der Auswahl der Bewerber will man offenbar nicht mehr ganz so wählerisch sein. Wie der Spiegel berichtet, sollen künftig Bewerber mit sichtbaren Tätowierungen nicht mehr wie bisher  automatisch ausgeschlossen werden. Damit wolle die Bundespolizei für junge Menschen attraktiv bleiben. 

Foto: Polizisten sperren in der vergangenen Woche das Fußballstadion in Hannover ab: Tätowierungen künftig kein Hindernis mehr