© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/15 / 27. November 2015

Grüße aus Brüssel
Es ist wie im Krieg
Carl Gustaf Ströhm

Bereits mit einem mulmigen Gefühl fahre ich Richtung Flughafen, um von Wien meinen Rückflug nach Brüssel anzutreten. Schon beim Einstieg ist es anders als sonst, als auf einmal eine freundliche Frauenstimme ins Mikro den Satz spricht: „Aufgrund der erhöhten Terrorwarnstufe wurde das Schengenabkommen außer Kraft gesetzt!“ 

Vergangenen Samstag war es so, als verließe man die heile Welt, um in ein Krisengebiet zu reisen. In Brüssel gelandet, will ich nur schnell nach Hause. Da die öffentlichen Verkehrsmittel nur sehr eingeschränkt fahren und wiederum die U-Bahnen und Züge gar nicht, nehme ich ein Taxi. Die Fahrt geht durch menschenleere Straßen. Hie und da schleichen Passanten ums Eck, auf der Suche nach einem Lebensmittelgeschäft. Überdies ist die Präsenz der Polizei und des Militärs nicht nur spürbar, sondern vor allem sichtbar. Als das Taxi in meine Straße einbiegt, sehe ich einen Kontrollposten samt gepanzertem Fahrzeug. Die gemischte Patrouille aus Polizei und Militär mustert das Taxi und läßt mich passieren. 

„Bleiben Sie von den Fenstern weg und verlassen Sie nicht die Wohnung.“

„Es ist wie im Krieg!“ sagt mein Taxifahrer. Dennoch trauten sich die Leute am nächsten Tag aus den Wohnungen, um in kleinen Geschäften Lebensmittel einzukaufen, denn die großen Ketten und Einkaufsläden hatten aufgrund der Terrorwarnstufe ihre Türen dichtgemacht. Bahnhöfe, U-Bahnstationen, Schulen, Universitäten, öffentliche Gebäude, Diskos, ja sogar Fitneßzentren durften nicht aufsperren. Als die Nacht über Brüssel hereinbrach, kamen über die Nachrichtenagenturen Meldungen über Polizeieinsätze in diesem und jenem Viertel. Schüsse sollen gefallen sein. Doch dies waren nur Gerüchte infolge der Informationssperre. 

Plötzlich geriet auch mein Viertel unter Verdacht. „Bleiben Sie von den Fenstern weg und verlassen Sie nicht die Wohnung“, dröhnte es aus einem Polizeilautsprecher. Am Tag darauf hieß es dann, soundsoviel Verhaftungen, doch konkrete Hinweise, wo sich der flüchtige Abdeslam aufhielt, blieben aus. „Er hat anscheinend viele Freunde, die ihn decken“, erklärt ein Nachbar.  

Tatsächlich verhalten sich die Muslime vor allem in Molenbeek eher zwiespältig gegenüber den Attentätern und den Pariser Anschlägen. Ein wirkliches Entsetzen oder gar sichtbare Trauer ist bei der islamischen Gemeinde in Brüssel kaum vorhanden. Vorhanden ist aber die Angst, die in diesen Tagen zum ständigen Begleiter wird.