Am Ende des zweiten Teils der nach ihm benannten Tragödie weist der deutsche Wissenschaftler und Unternehmer Heinrich Faust den Teufel an: „Mit jedem Tage will ich Nachricht haben,/ Wie sich verlängt der unternommene Graben“. Mephistopheles erwidert darauf höhnisch: „Man spricht, wie man mir Nachricht gab,/ Von keinem Graben, doch vom Grab.“ Der ewig strebend bemühte Mensch steht da in der Blüte seines Irrtums, der traurigen Vollendung seines Schaffens.
Ernst Jüngers Leben endete nicht im Graben. Als das reine Gegenteil des faustischen Menschen kann gelten, wie er sich aus diesem erhob. Vom Martyrium der Schulbank kündete der rüstige Greis noch, daß es ihm näher ginge als die Erinnerungen an den Krieg, dessen fürchterlichstes Erlebnis er in die Erkenntnis faßte, „daß wir ihn verloren haben“. Dem nach vorne fliehenden Schulschwänzer wurde das gigantische Menschengrab zum Ausgangsort einer menschlichen Auferstehung und zugleich die Basis seines literarischen Triumphs.
Ein hohes Alter bei knabenhafter Virilität ließ Ernst Jünger dann zur Personifikation der Unsterblichkeit und der Unkorrumpierbarkeit werden. Das pure Weiterleben war bissiger Trotz gegen eine schlechte Normalität. Daß er im Februar 1998 über hundertjährig an den Folgen eines Zeckenbisses starb, wirkte das wie ein ärgerlicher Zufall, den keiner mehr erwartet hatte.
Seither stehen wir nun in der Übergangsphase von den noch ungebrochenen Strahlungen seiner jüngst vergangenen persönlichen Gegenwart und dem Aufgang der Legende um seine Gestalt. Jahr für Jahr nimmt die Erinnerung an die reale Person ab und macht dem Mythos Ernst Jünger Platz. Dieser Mythos bekommt sein Fundament mit philologischer Präzision saniert. Von großer Bedeutung war dabei die Edition der Kriegstagebücher von 1914 bis 1918 durch Helmuth Kiesel im Verlag Klett Cotta vor fünf Jahren. Nach Motiven dieser Niederschriften soll nun ein Spielfilm entstehen.
Dreharbeiten sollen im Spätsommer 2016 losgehen
Gegenwärtig sind die Autoren und Produzenten von „Der Graben“ um die Finanzierung bemüht und besetzen die verbliebenen Rollen. Im nächsten Spätsommer soll es dann mit den Dreharbeiten losgehen. Eine Netzseite informiert über die Intentionen. Einer der Autoren des Drehbuchs ist der 1971 in Teheran geborene und in Deutschland aufgewachsene Autor Parviz Amoghli. Er gehört zum Autorenstamm der Vierteljahresschrift für Konsensstörung Tumult. Im vorigen Heft blickte er in die umgekehrte Richtung, weg von einer überbelichteten Unterwelt an die verdunkelte Oberfläche Berlins im Frühjahr 1945. In seinem Essay „Der halbe Untergang“ zeichnet er ein Bild über „Die ausgeblendete Oberwelt Berlin 1945“. Darin geht es ihm um die Abqualifizierung des Leidens und Sterbens zigtausender Kämpfer und Zivilisten als „pyrotechnisches Beiwerk für die letzten finsteren Machenschaften des Führers“. Spätestens seit Joachim Fests Buch und dem vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk kräftig mitfinanzierten Film „Der Untergang“ gilt: „Als bildliche Manifestation der Befreiung von der Schreckensherrschaft verreckt das geschlagene und irre gewordene Monster in seiner finstern, kalten Höhle. Davor stehen die Sieger, die Drachentöter, die dem Bad im Blut der faschistischen Bestie als heroisch unbescholtene Vorkämpfer für die Freiheit wieder entsteigen.“ Auch Ernst Jünger war lange Zeit ein solcher Popanz zur billigen Positionierung.
Zum Filmprojekt merkt Amoghli nun an, daß Jünger keineswegs aus politischen Gründen gewählt wurde, sondern allein wegen der außerordentlichen Präzision seiner Beobachtungen. Er kündigt an, daß der Film als „durchaus unangenehm“ empfunden werden würde. Produzent Frank Govaere war an der Königlichen Belgischen Kunstakademie Meisterschüler von Raoul Servais, einem Pionier des Animationsfilms. Servais bindet Realfilm und Trickfilm in reduzierter Farbigkeit zu surreal-pessimistischen Stimmungsbildern. Als ebenso raffinierter Grafiker gestaltete Govaere zuletzt die Animation in dem griechischen Spielfilm „Metéora“, einer an die Bildsprache Sergej Paradshanows erinnernde Liebesgeschichte im Felsenkloster.
Markus Gertken verkörpert Leutnant Sturm
Die kurzen Ankündigungen zu „Der Graben“ zeigen die gleiche Handschrift dieser bewegten Monochromie. Ein treibender Kopf der Unternehmung ist Markus Gertken, beteiligt an Regie und Drehbuch und zugleich den Leutnant Sturm verkörpernd. Auch er ist sich bewußt, daß dieses Vorhaben nicht zu denen gehört, die in der deutschen Filmwirtschaft gesucht werden. Er vertraut darauf, daß zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Leute aufeinandertreffen.
Der ungewöhnliche Film entsteht in einer Kameraderie von Darstellern und Autoren. Einige kennen sich aus der Berliner Theaterszene um die Schaubühne. Gerdy Zint wird den drängenden Otto geben, der im Drehbuch meint: „Der Soldat gräbt, der Krieger kämpft. Wußte schon der alte Cäsar.“ David Bennent debütierte 1979 als Oscar in Schlöndorffs Verfilmung von „Die Blechtrommel“ vor der Kamera. Der Schweizer Schauspieler war ebenso schon auf den Brettern der Schaubühne in Berlin zu erleben. David Ruland ist dort seit zwölf Jahren im Ensemble tätig. Als ihm Gertken den Stoff des Films nahebringen wollte, fand er offene Türen, da der Kollege gerade von der Jünger-Lektüre absorbiert war. Für Julian Weigend stellt sich die Verbindung über Erinnerungen seines Urgroßvaters her, der den Krieg in den Karnischen Alpen erlebte. Boris Aljinovic stellt die Analogien von Inhalt und Umsetzung: „Film und Krieg sind sehr nahe: Hohe Logistik, großes Einsatzteam, völlig feindliche Umwelt. Man muß irgendwie bestehen.“
Moritz Leu spielt den Julian, einen Feingeist, der vergeblich versucht seine Erinnerungen zu schützen und sich von ihnen schützen zu lassen. Helfen tun ihm allein die Kameraden, denen er mit seiner Schwäche wohl gleichfalls hilft. Leu favorisiert das tanzartige der Handlung, welche geballt und zugespitzt doch mit Leichtigkeit verläuft. Der Film wird enden, wie er beginnt. Die Ungewißheit des Schicksals, die Entstaltung des Raums, die Aufhebung der Linearität der Handlung liegen in der Natur oder Unnatur der Dinge, von denen hier berichtet wird.
Die Filmkünstler verhalten sich ähnlich wie Jünger damals zu seinen Aufzeichnungen. Die Notizen von Erlebnissen müssen zum Bericht geordnet werden. Für den Film „Der Graben“ soll unter Beibehaltung der Hauptmotive eine cineastische Fassung gefunden werden, die mehr ist als eine Verfilmung von „In Stahlgewittern“. Parviz Amoghli schwebt etwas wie eine Mischung aus „Das Boot“ und „Beautiful Mind“ vor.
Um sich die Zeit bis zum gegenwärtig noch nicht abschätzbaren Kinostart zu verkürzen, können zwei Tonträger-Editionen gehört werden. Die Brigade Commerz macht den gesamten Archivbestand an Originaltonaufnahmen von Ernst Jünger zugänglich. Drei CDs versammeln unter dem Titel „Mein Gegner ist die Sprache“ Essays, Interviews und Lesungen zwischen 1954 und 1995. Dazu ist eine weitere CD erschienen mit „Ortners Erzählung“ aus dem Roman „Heliopolis. Rückblick auf eine Stadt“, gelesen vom Autor.