© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/15 / 04. Dezember 2015

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Der Druck wächst
Marcus Schmidt

In Berlin laufen derzeit viele Wetten. Dabei geht es immer um die gleichen Frage: „Sagt sie es, oder sagt sie es nicht?“ und wenn ja: „Wann?“ Gemeint ist Bundeskanzlerin Angela Merkel und die in der Union vieldiskutierte Frage nach einer Obergrenze für Asylbewerber. Bislang hat Merkel diese Frage stets verneint und mit einem „Wir schaffen das“ vom Tisch gewischt.

Doch von Tag zu Tag wächst in der Union, und vor allem unter den Abgeordneten in der Bundestagsfraktion, die immer sorgenvoller auf die fallenden Umfrageergebnisse schauen, die Unruhe. Viele sehen den CDU-Parteitag am übernächsten Wochenende in Karlsruhe als letzte Chance für Merkel, das Ruder herumzureißen. Ansonsten sei danach alles möglich, heißt es vielsagend.

Wie angespannt die Lage in der Union schon jetzt ist, zeigt der Fall des CDU-Haushaltsexperten Andreas Mattfeldt. Dieser hatte sich am vergangenen Donnerstag den Zorn von Fraktionschef Volker Kauder zugezogen. Anlaß war eine Rede des niedersächsischen Abgeordneten in der Haushaltsdebatte des Bundestages. Darin hatte er unter anderem gesagt: „Das erste Mal habe ich als politischer Entscheidungsträger in diesen Monaten den Eindruck, daß wir als Staatsgewalt die Kontrolle in der Flüchtlingskrise verloren haben. Wir haben die Kontrolle verloren, vielleicht auch, weil wir uns nicht trauen, unpopuläre Dinge auszusprechen und durchzusetzen, zum Beispiel, daß die Aufnahmekapazität von Flüchtlingen in diesem Land überschritten sein dürfte und auch Rückweisungen kein Tabu sein dürfen.“ Im Plenum sorgte die Rede für ungläubiges Staunen, bei der Fraktionsspitze der Union für Entsetzen. „Du sollst dich was schämen!“ tobte Kauder.

Mattfeldt empfand die wütende Reaktion als Einschüchterungsversuch, wie er am Dienstag in einer Erklärung auf seiner Internetseite schrieb. „So einen Wutanfall wie von Herrn Kauder habe ich in meiner gesamten politischen Laufbahn noch nicht erlebt, weder in dieser Lautstärke noch in dieser Tonalität.“ Als unabhängiger Abgeordneter sehe er es aber als seine Pflicht an, der Bundesregierung klarzumachen, daß in der Flüchtlingspolitik ein schnelles Umschwenken nötig sei. „Auch von unserer Kanzlerin erwarte ich schnell ein deutliches Signal“, verdeutlichte Mattfeldt. Merkel wird diese Wortmeldung ebenso aufmerksam registriert haben wie die „Berliner Erklärung“, die die innenpolitischen Sprecher der Unions-Fraktionen am vergangenen Freitag veröffentlicht hatten. 

Auch darin wird indirekt eine Obergrenze gefordert. „Die Zuwanderung ist auf ein Maß zu begrenzen, das die gesellschaftliche Akzeptanz nicht übersteigt und die Integrationsfähigkeit dieses Landes auch langfristig gewährleistet“, heißt es unmißverständlich in dem Papier. Um dieses Ziel durchzusetzen, brachte der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion bei der Vorstellung der „Berliner Erklärung“ im Reichstag  zudem „begrenzte, aber effektive Zurückweisungen an den deutschen Außengrenzen“ ins Spiel. Ganz so, wie es auch Mattfeldt gefordert hatte. Für Merkel wird es langsam ungemütlich.