© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/15 / 04. Dezember 2015

Syrische Flüchtlinge an die Front!
Analyse: Die Bildung von Freiwilligenbattaillonen aus Asylbewerbern würde Deutschland bei der Integration und dem Familiennachzug entlasten
Dirk Meyer

Die Frage des polnischen Außenministers Witold Waszczykowski war provokant. „Können Sie sich vorstellen, daß wir unsere Armee zum Kampf nach Syrien schicken, während hunderttausend Syrer in Berlin Kaffee trinken und zusehen, wie wir für ihre Sicherheit kämpfen?“ Waszczykowski rief mit seiner Äußerung Pawlowsche Reflexe hervor. „Hunderttausende Syrer sind in letzter Zeit nach Europa gekommen. Wir können ihnen helfen, eine Armee aufzubauen.“ Waszczykowski will eine Exilarmee zur Befreiung Syriens, um eine Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimat zu ermöglichen.

Gerade unter den Syrern ist der Rückkehrwunsch sehr verbreitet. EU-weit stellten sie im Oktober mit 135.000 Flüchtlingen (62 Prozent) das größte Kontingent. Auch das Flüchtlingsrecht geht von einer zeitlichen Begrenzung und einer Rückkehrwilligkeit aus, indem zunächst eine befristete Aufenthaltserlaubnis von drei beziehungsweise sieben Jahren (Flüchtlingsstatus/subsidiärer Schutz) ausgesprochen wird. 

Dem entgegen steht die Willkommenskultur: Als Konsequenz hat sie bei den Flüchtlingen eine dauerhafte Bleibe-perspektive erzeugt – unter der ergebnisoffenen Forderung des aufnehmenden Landes nach Werteübernahme und Integration. Nicht ein Wunschdenken, sondern eine wertegeleitete Lösungsorientierung sollte das Handeln in der Flüchtlingskrise bestimmen. 

Ein Flüchtlingszustrom ohne Begrenzung, das geringe Bildungs-/Ausbildungsniveau – 81 Prozent der Flüchtlinge sind ohne formale Qualifikation – sowie erhebliche Engpässe beim Wohnraum, einer angemessenen schulischen Versorgung und geeigneten Ausbildung lassen eine Integration fragwürdig erscheinen, in jedem Fall als kostenträchtige Investition mit zweifelhaftem Ertrag für die europäische Gesellschaft. Allein deshalb sollte der neue Vorschlag geprüft werden.

Polnische Exilarmee als Vorbild

Hinter Waszczykowskis Vorstoß steht das historische Beispiel der polnischen Exilarmee nach der Kapitulation des Landes 1939. Als siebtgrößte alliierte Armee mit einer Stärke von 100.000 bis 200.000 Soldaten stand sie als eigenständige Armee unter dem Kommando der Alliierten. Der Unterschied zur Situation heute: Es bestand eine gut ausgebildete, motivierte Armee mit Ausrüstung, die unter alliierter Führung ein eindeutiges Ziel verfolgte. Nach teils lebensgefährlicher Flucht dürfte die Motivation syrischer Flüchtlinge zum Kampfeinsatz gering sein. Als schnell ausgebildete Mannschaftsgrade einer Bodentruppe unter ausländischer Führung wären hohe Verluste wahrscheinlich. Auch steht die völkerrechtliche Legitimität in Frage. Soll der Einsatz unter EU-Mission (Art. 42 EU-Vertrag), Nato-Mandat (Angriff des IS auf Frankreich) oder als Mission der Vereinten Nationen geführt werden? 

Eng verbunden ist die finanzielle Frage des Verteilungsschlüssels für die Ausbildung, die Einsatzfinanzierung sowie die Möglichkeit der Rückkehr bei Verletzung. Was ist das Ziel: die Vernichtung des IS, der Aufständischen und/oder der Sturz Assads? Die Einigkeit der Staatengemeinschaft hinsichtlich Gegner und Ziel ist für ein langfristiges Gelingen unabdingbar. Wie verhindert man, daß sich „Warlords“ auf diesem Wege mit Waffen, EU-Dokumenten und Finanzmitteln versorgen oder sich gar dem IS anschließen?

Militärfachleute gehen davon aus, daß Bodentruppen für eine Befriedung unabdingbar sind. Jedoch wäre der Einsatz westlicher Bodentruppen politisch nicht zu vermitteln. Zudem böte dieser „Kreuzzug“ Islamisten die Legitimation, im Ausland um Unterstützer zu werben und weitere Anschläge durchzuführen. Damit bleibt die Suche nach geeigneten syrischen Kämpfern. Denkbar wäre eine freiwillige Musterung von Flüchtlingen bei strenger Auswahl geeigneter Personen. Diese könnten nach intensiver militärischer Ausbildung den Kern einer nationalen Befriedungsarmee bilden, die beispielsweise unter einer Nachfolgeregierung in Zusammenarbeit mit der bestehenden Armee speziell im Anti-Terrorkampf ausgebildet ist.

Unterbringung in Kasernen

Der Einstufungstest könnte zugleich der Errichtung ziviler Aufbauorganisationen dienen. Flüchtlinge könnten mit Blick auf den Wiederaufbau eine Ausbildung zum Polizeidienst, beim THW und anderen Hilfsorganisationen durchlaufen. 

Da ebenfalls Engpässe einer arbeitsfähigen, nicht korrupten Verwaltung bestehen, wären auch Grundfertigkeiten im Verwaltungsdienst sinnvoll, um dem Land eine gewisse Stabilität nach westlichem Vorbild zu geben. 

Sowohl der Befriedungs- als auch der Aufbaudienst könnte jungen Syrern eine patriotische und aufgrund der Ausbildung ökonomisch erfolgreiche Zukunftsperspektive bieten. Als Anreize könnten eine zertifizierte Ausbildung nach europäischen Standards, die Zahlung von Schulgeld für heimische Familienangehörige sowie eine finanzielle Unterstützung beim späteren Hausbau winken. Der Aufenthalt in Deutschland würde ihnen für eine gewisse Zeit Sicherheit und Beispiel für alternative Lebensweisen geben. Aufgrund der späteren Rückkehr wäre eine zentrale Unterbringung der Ausbildungseinheiten in ehemaligen Kasernen geeignet. Integrationsarbeit und Familiennachzug würden entfallen. Deutschland könnte sich auf eine gesteuerte Zuwanderung ausgebildeter und integrationswilliger Migranten konzentrieren.

Völkerrechtlich wären diese Hilfen unbedenklich und könnten sogar von Deutschland allein, besser jedoch im europäischen Verbund durchgeführt werden. Da die Widerstände mancher Mitgliedstaaten durch die Gefahr der Überfremdung, weniger aufgrund der finanziellen Lasten bedingt sind, würde dieser Hilfeansatz eventuell auf breitere Akzeptanz und Unterstützung stoßen. Damit wäre auch für die EU das politische Problem mangelnder Solidarität und Abstimmung zumindest ansatzweise gelöst.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ordnungsökonomik an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.