© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/15 / 04. Dezember 2015

Erfolgsgeschichten unter der iberischen Sonne
Wirtschaftspolitik: Trotz Rekorden bei Arbeitslosigkeit und Verschuldung zählen einige spanische Unternehmen inzwischen zu den weltweit erfolgreichsten
Michael Ludwig

Es ist ein Paradoxon: Trotz einer Erwerbslosenquote von 22 und einer Jugendarbeitslosigkeit von fast 49 Prozent sowie einer Verdreifachung der Staatsschulden seit 2007 auf 1,1 Billionen Euro zeigt Spaniens Wirtschaft Muskeln. Die großen Unternehmen der Iberischen Halbinsel gehören zu den erfolgreichsten weltweit. Auch in Deutschland sind sie aktiv und zählen in manchen Zweigen zu den tonangebenden Konzernen. Wie paßt das zusammen? Wie konnte die spanische Wirtschaft, die noch in den 1970er Jahren im Dornröschenschlaf lag, derart aufholen, daß sie zu einem ernstzunehmenden, international tätigen Konkurrenten wurde?

Wer kennt den Textilriesen Inditex? Hinter der 1963 gegründeten Industria de Diseño Textil verbergen sich inzwischen global erfolgreiche Marken: Zara, Massimo Dutti, Pull & Bear oder Bershka. Inditex erwirtschaftet mit seinen bald 6.800 Filialen in 88 Ländern, die 141.000 Mitarbeiter beschäftigen, einen Umsatz von 36,7 Milliarden Euro; der Nettogewinn des Unternehmens betrug 2013 rund 14,4 Milliarden. Eigentümer dieser Goldgrube ist der 79jährige Amancio Ortega Gaona, der laut dem US-Magazin Forbes mit einem Vermögen von 64,4 Milliarden US-Dollar der viertreichste Mann der Welt ist.

Übernimmt Santander die deutsche Postbank?

Die Dresdner Bank verschwand 2009 von den Kurszetteln, die Commerzbank wurde teilweise notverstaatlicht, die Deutsche Bank ist auf Schrumpfkurs (JF45/15). Die 1857 gegründete Banco Santander hat sich hingegen mittlerweile auch in Deutschland etabliert. Mit einer Bilanzsumme von 1,3 Billionen Euro ist sie das zweitgrößte Geldinstitut Europas und gemessen am Gewinn die drittgrößte Bank der Welt. Santander beschäftigt 185.500 Mitarbeiter, hat 106 Millionen Kunden, betreibt 14.000 Zweigstellen in mehr als 40 Ländern.

In Deutschland vermitteln die Spanier vor allem Auto- und Konsumentenkredite. Derzeit wird darüber spekuliert, ob Santander die Postbank erwirbt – und damit 14 Millionen neue Kunden. Mit ihrem knallroten Markenauftritt sind die bislang 200 deutschen Santander-Filialen zudem den hiesigen Sparkassen ins Gehege gekommen, deren Logo die gleiche Farbe hat. Der Rechtsstreit über die „HKS-Farbe 13“ begann 2010 und ist immer noch nicht entschieden.

Der drittgrößte Baukonzern Europas ist ACS. Seine 161.800 Beschäftigten sorgen für einen Umsatz von 38,4 Milliarden Euro. In Deutschland hat sich ACS 2011 das Traditionsunternehmen Hochtief einverleibt. Der 68jährige Vorstandschef Florentino Pérez Rodríguez war unter Franco Generaldirektor des Straßenbauverbands AEC und ging nach der Demokratisierung für einige Jahre in die Politik. 1983 begann der Aufstieg als Unternehmer. Seit 1997 führt er ACS und wird seit Jahren im unteren Bereich der Forbes-Milliardärsliste geführt. Im Jahr 2000 wurde der Bauingenieur erstmals zum Präsidenten von Real Madrid gewählt, 2013 zum vierten Mal.

Eine ausgesprochene Erfolgsstory hat auch Telefónica geschrieben, ein Gigant der aus dem 1924 gegründeten Staatsmonopolisten CTNE hervorgegangen ist. Der 1997 privatisierte Kommunikationskonzern erwirtschaftete 2014 mit 120.000 Mitarbeitern über 50 Milliarden Euro Umsatz. 2001 kaufte Telefónica für 1,6 Milliarden Dollar die Bertelsmanntochter Mediaways. 2005 übernahm das Madrider Unternehmen die britische Telefongesellschaft O2 für umgerechnet 26 Milliarden Euro. 2014 fusionierten E-Plus und O2 zum derzeit größten deutschen Mobilfunkanbieter.

Bislang setzen spanische Unternehmen in Deutschland über fünf Milliarden Euro jährlich um und geben 19.000 Menschen Lohn und Brot, weltweit sind es knapp 164 Milliarden und 603.200 Mitarbeiter – obwohl das Land der Siesta nicht für eiserne Arbeitsdisziplin bekannt ist. Mauro Guillén, Soziologieprofessor an der Wharton School (Pennsylvania) erklärt das so: „Spanien hatte vor 1986 eine abgeschirmte und rückständige Wirtschaft. Der Eintritt in die EU und der Vertrag von Maastricht lösten eine Dynamik der Liberalisierung und der Deregulierung aus. Der Zollabbau bedeutete, daß man in den Fabriken und bei den Dienstleistungen neue Wege gehen mußte, man mußte im Ausland investieren, um an Größe zu gewinnen.“

Ausland – das bedeutete zuerst Lateinamerika: „Auch im Geschäftsleben muß man im rechten Augenblick an rechten Ort sein“, erklärte Guillén in der Madrider Zeitung El País. Die spanischen Unternehmen schafften „ein nahezu perfektes Timing: Auf der einen Seite gab es Privatisierungen öffentlicher Firmen – in der Mehrzahl der Fälle dadurch, daß sie an die Börse gingen –, was Kapital zuführte, die Führungsebene professionalisierte und zu einem Mentalitätswechsel führte, und nahezu parallel öffnete sich der lateinamerikanische Markt für ausländisches Geld“. Beim Aufbau der angelsächsischen Großkonzerne seien oft Jahrzehnte vergangen – „die spanischen haben es in Südamerika im Rekordtempo geschafft“. Schwerpunkte waren und sind Brasilien, Mexiko, Peru und Argentinien.

Die niedrigen Euro-Zinsen ermöglichten die Expansion

Ein neuer Schub erfolgte durch die Euroeinführung: Die spanischen Firmen kamen in den Genuß niedriger Zinsen, die sie dazu nutzten, weitere Zukäufe zu tätigen. Das Geschäft in Südamerika war lukrativ, besaß aber eine Achillesferse: Unruhen, Revolutionen, Korruption oder Hyperinflation machten manche Vorhaben unkalkulierbar. Daher wandten sich die spanischen Konzerne verstärkt Europa zu. Erst mit der Finanzkrise 2008 kam die Expansion zum Stillstand. Viele Unternehmen hatten ihre Zukäufe mit Krediten finanziert, was sie jetzt in Bedrängnis brachte – und so mußten sie Unternehmen oder Firmenanteile wieder veräußern, um über die Runden zu kommen. Andererseits waren sie nicht vom krisengebeutelten spanischen Heimatmarkt abhängig und konnten mit auswärts erwirtschafteten Gewinnen ihre Bilanzen verbessern.

Seit einem Jahr geht es mit der spanischen Wirtschaft sogar wieder aufwärts. Das stimmt die Führungsetagen in der Wirtschaft hoffnungsfroh und läßt sie neue Pläne schmieden. Die begehrlichen Blicke fallen diesmal auf Asien, wo Spanien noch nicht sonderlich gut aufgestellt ist. „Die holländischen, schwedischen, deutschen und japanischen Firmen sind noch immer internationaler als unsere“, beklagt der gebürtige Spanier Mauro Guillén. Das könnte sich in Zukunft ändern.