© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/15 / 04. Dezember 2015

Die Großmacht, die keine war
Italien im Zweiten Weltkrieg: Nach dem Desaster in Griechenland eilte Mussolinis Armee auch in Nordafrika von Katastrophe zu Katastrophe
Dag Krienen

Am 9. Dezember 1940 eröffneten die britischen Western Desert Forces die Offensive gegen die in Ägypten eingedrungene italienische 10. Armee. Bis Anfang Februar 1941 warfen die Briten die Italiener aus Ägypten hinaus, eroberten anschließend die italienische Cyrenaika und vernichteten die gesamte 10. Armee. Bei nur knapp 2.000 Mann eigenen Verlusten nahmen sie fast 130.000 Italiener gefangen. Nach den kurz zuvor erlittenen Rückschlägen in Griechenland (JF 44/15) hatte sich Italien nun endgültig als unfähig erwiesen, selbständig Krieg im Mittelmeerraum zu führen. Sowohl auf dem Balkan als auch in Nordafrika benötigte es von nun an die Hilfe deutscher Truppen. 

Selbständig Krieg gegen eine andere Großmacht führen zu können, war das zentrale Merkmal einer Großmacht, ein Status, auf den Italien seit seiner Einigung im 19. Jahrhundert stets Anspruch erhoben hatte. Nach dem „verstümmelten Sieg“ im Ersten Weltkrieg war in den Augen Mussolinis und seiner Anhänger die Beseitigung aller Zweifel an Italiens Großmachtstatus der eigentliche Daseinszweck des faschistischen Regimes. Der spielte eine wichtige Rolle bei Mussolinis Entschluß, im Juni 1940 in den Krieg einzutreten. Er bräuchte eben, wie er es zynisch ausdrückte, einige tausend Tote, um bei der Neuverteilung Europas mit am Verhandlungstisch sitzen zu können und Italiens Großmachtstellung abzusichern. 

Mangelhafte Ausrüstung, Ausbildung und Struktur

Bei einem deutschen Alleinsieg hingegen drohte dem Land die Reduzierung zum bloßen Juniorpartner Deutschlands oder Schlimmeres. Mussolini lehnte aus diesem Grund 1940 auch jede deutsche Hilfe ab. Er wollte unabhängig im Mittelmeerraum einen eigenen „Parallelkrieg“ führen. Auch sein verhängnisvoller Entschluß, ohne Unterrichtung und entgegen den bekannten Interessen Hitlers an „Ruhe auf dem Balkan“, im Herbst 1940 Griechenland anzugreifen, ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Der Duce wollte es explizit Hitler, der ihn immer vor vollendete Tatsachen stellen würde, mit der gleichen Münze heimzahlen: „So wird das Gleichgewicht wiederhergestellt sein.“

Es zeigte sich rasch, daß die italienischen Truppen den ihnen gestellten militärischen Aufgaben nicht gewachsen waren. Schon bald wurden sie von ihren Feinden und insgeheim auch von ihren Verbündeten verspottet und der Feigheit geziehen (Der Witz über die „Italienische Kriegsfahne? Weißes Kreuz auf weißem Grund!“ kursierte in den europäischen Offizierscasinos). Mangelnde Tapferkeit und Moral der italienischen Soldaten waren für das militärische Versagen jedoch am wenigsten verantwortlich. Wenn sie gut ausgerüstet und taktisch ordentlich geführt wurden, wie beispielsweise in den wenigen motorisierten Verbänden, die Italien ab 1941 in Nordafrika einsetzte, zeigten sie durchaus ordentliche Leistungen. Ebenso da, wo es vor allem auf den individuellen Einsatz ankam, wie beispielsweise bei den Torpedobombern, Schnellbooten, maritimen Kleinkampfmitteln und den Kampfschwimmern – übrigens eine italienische Erfindung, deren größter Erfolg die Versenkung zweier britischer Schlachtschiffe in Alexandria im Dezember 1941 war. Doch mit punktuellen Erfolgen allein ließ sich ein moderner Großmachtkrieg nicht gewinnen. 

Die schlechte militärische Leistungsbilanz Italiens zwischen 1939 und 1943 hatte ihre Ursachen zum einen in der inneren Struktur des Regimes und seiner Streitkräfte. Obwohl Mussolini zugleich auch jeweils Minister für Heer, Luftwaffe und Marine war, versäumte er, die drei Teilstreitkräfte auf eine gemeinsame Strategie zu verpflichten und die Reibereien zwischen ihnen in Grenzen zu halten. Alle drei verteidigten eigensüchtig ihr Revier und ihren Anteil am Staatsetat; die Kooperation, vor allem zwischen der Marine und der Luftwaffe, war und blieb miserabel. 

Auch innerhalb der einzelnen Teilstreitkräfte zeigten sich die Italiener oft unfähig, ihre verschiedenen militärischen Mittel taktisch sinnvoll zu einer effektiven und flexiblen Gefechtsführung zu verbinden. Hier machte sich die enge soziale Rekrutierungsbasis des höheren Offizierskorps negativ bemerkbar. Ein streng am Dienstalter orientiertes Beförderungssystem verhinderte den Aufstieg innovativ denkender Soldaten und hievte oft unfähige Männer auf hohe Positionen, die ihren Rang vornehmlich als Ausweis ihres sozialen Status genossen. 

Die unteren Offiziersränge und die für jede moderne Armee so wichtigen Unteroffiziere wurden in ihrer Ausbildung und bei der Besoldung vernachlässigt. Auf operativer Ebene wurde zwar 1938 der Blitzkrieg, der „guerra di rapido corso“, zur gültigen Doktrin gemacht, die taktische Ausbildung aber nicht konsequent umgestellt. Die Streitkräfte Italiens neigten überhaupt dazu, bei Paraden zwar „bella figura“ zu machen, eine kriegsnahe, realistische Planung, Ausbildung und Ausrüstung aber zu vernachlässigen.

Die militärische Leistungsfähigkeit Italiens war und blieb jedoch vor allem deshalb gering, weil dem Land die wirtschaftlichen und technologischen Grundlagen fehlten, um seine Soldaten angemessen auszurüsten. Der Wille dazu war durchaus vorhanden. So gab Italien in den Jahren vor dem Krieg knapp zwölf  Prozent seines Volkseinkommens für militärische Zwecke aus und blieb damit nur geringfügig unter dem damaligen deutschen Niveau. In absoluten Zahlen allerdings gab das Deutsche Reich 1935 bis 1938 fünfmal soviel Geld für das Militär aus wie Italien im gleichen Zeitraum. 

Der im internationalen Vergleich kleinen Industrie fehlte jede größere heimische Rohstoffbasis, sieht man von Schwefel und Bauxit ab. Eine nennenswerte Ölförderung existierte nicht (die libyschen Felder waren noch unentdeckt), ähnliches galt für Kohle. Wurden in Deutschland 1938 Stein- und Braunkohle mit einem Brennwert von 242 Millionen Tonnen Steinkohleneinheiten gefördert, so waren es in Italien gerade mal zwei Millionen Tonnen. Damit fehlte neben einer soliden Energiebasis auch der Rohstoff, um Treibstoffe und synthetisches Gummi auf chemischen Wege zu gewinnen. Daß Italien, das 96 Prozent seines Stromes mit Wasserkraftwerken erzeugte, in Europa den ersten Rang bei der Energieerzeugung aus erneuerbaren Quellen einnahm, war kein Trost.

Vor Kriegsausbruch mußte das Land zur Finanzierung der Rohstoffimporte beträchtliche Teile seiner Waffenproduktion exportieren. Im Kriege war es dann von Gebieten außerhalb des Mittelmeeres abgeschnitten und stand auf dem Balkan in Rohstoff-Konkurrenz mit seinem deutschen Verbündeten. Voraussetzungen für ein „Rüstungswunder“ à la Speer fehlten gänzlich. Tatsächlich erreichte die italienische Rüstungsproduktion bereits 1941 ihren Höhepunkt, um nach der Erschöpfung der eingelagerten Rohstoff-Vorräte wieder abzusinken. Doch selbst 1941 entsprach die italienische Jahresproduktion an Flugzeugen und Panzern nur den entsprechenden deutschen Monatszahlen unter Speer im Jahre 1943.

Da die kleine Industrie nicht die ganze Bandbreite der Anforderungen eines Großkrieges erfüllen konnte, gab es vielfach technische Defizite, beispielsweise bei Panzern und Jagdflugzeugen, oder viel zu spät entwickelte Geräte wie das Radar. Italienische Waffen waren aber nicht durchweg minderwertig. Die Pistolen und Maschinenpistolen von Beretta, die der deutschen 8,8-cm-Flak gleichwertige Flak 90/53, die Gebirgskanone 75/18 und viele andere stellten im internationalen Vergleich durchaus vorzügliche Waffen dar. Was den Italienern vor allem fehlte, waren die Produktionskapazitäten, um sich zeigende Defizite in der Ausrüstung rasch beheben zu können. 

Beutewaffen aus dem Ersten Weltkrieg als Ausrüstung

Beispielsweise verstanden italienische Unternehmen wie Ansaldo moderne Geschütze durchaus zu konstruieren, waren aber nicht in der Lage, diese in ausreichendem Umfang schnell zu produzieren. Die italienische Armee mußte deshalb im Zweiten Weltkrieg mit einer Artillerie kämpfen, die noch aus dem Ersten stammte, zu großen Teilen sogar mit 1918/19 erbeuteten österreichischen Geschützen. Auch in anderen Branchen sah es nicht besser aus. 1939 hatten die italienischen Militärs erkannt, daß die Standard-Patrone des Infanteriegewehres nicht mehr modernen Anforderungen entsprach und ein Umrüstungsprogramm eingeleitet. Dieses mußte nach Kriegseintritt abgebrochen und die neuen Gewehre auf die alte Patrone umgestellt werden, da die Industrie die parallele Produktion der neuen und der alten Munition nicht leisten konnte. Die Japaner, die 1939 mit dem gleichen Problem konfrontiert waren, zogen hingegen die Umrüstung durch.

Die Ausrüstung der Streitkräfte Italiens war und blieb unter diesen Umständen quantitativ und qualitativ unzureichend. Nur sehr wenige Divisionen konnten motorisiert oder gar mit Panzern ausgestattet werden. In einem idealen Panzergelände wie in Nordafrika erwies sich dies als verhängnisvoll. 1940 setzten die Italiener dort zwar spezielle Infanteriedivisionen („divisione autotrasportabile“) ein, die theoretisch auf LKW-Kolonnen rasch verlegt werden konnten. Zur Bereitstellung der nötigen Menge an Lastkraftwagen reichte es allerdings nicht. Die damit praktisch weiterhin nur zum Fußmarsch befähigten italienischen Verbände wurden so zur leichten Beute der weitgehend motorisierten britischen Einheiten, die sie fast nach Belieben nacheinander angehen, einkreisen und vernichten konnten.

Angesichts der Mängel der italienischen Streitkräfte haben einige Historiker die Ansicht vertreten, sie seien eigentlich ein gar nicht für den realen Einsatz, sondern nur zum „Bluffen“ des Gegners bestimmtes Instrument gewesen. Doch Mussolini und der ihm hörige Teil der Generalität erwarteten 1940 durchaus von ihren Truppen militärische Wundertaten, die den deutschen Erfolgen gleichkamen. Sie erwiesen sich damit hoffnungslos überfordert, was zu den katastrophalen Niederlagen des Jahres 1940 führte. Das faschistische Regime, das propagandistisch Militanz und militärische Tugenden verherrlichte, zeigte sich im Ernstfall seinen eigenen Großmachtansprüchen nicht gewachsen. „Im rüstungstechnisch-militärisch-industriellen Rahmen [der späten dreißiger Jahre] vermochte das Land einem derartigen Status nicht mehr zu genügen, und genau dies, nicht mehr oder weniger, wurde in Mussolinis ‘Parallelkrieg’ offenkundig“ (Gerhard Schreiber).