© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/15 / 11. Dezember 2015

Die ruhigen Jahre sind vorbei
Belgien: Terror, Dschihadisten, muslimische Ghettos – wachsender Antisemitismus setzt die jüdischen Gemeinden in Brüssel und Antwerpen unter Druck
Mina Buts

Mit großem Finanzaufwand – von 40 Millionen Euro ist die Rede –  ermutigt der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zur Zeit ausreisewillige Juden aus der Ukraine, Frankreich und Belgien, sich in Israel niederzulassen. Zwar haben von den 50.000 in Belgien lebenden Juden 2014 nur 250 diesen Schritt gewagt, doch die Tendenz ist deutlich steigend.

Zur „Aliya-Messe“, die von der „Zionistischen Organisation Belgien“ organisiert wurde und im Frühjahr 2015 in Brüssel stattfand, kamen mehr als 1.000 jüdische Besucher. Einziges Ziel der Messe: die Aufklärung über die Auswanderung nach Israel. Einwanderungsbehörden, Immoblienmakler und Arbeitsvermittler aus Israel waren vor Ort. Juden, so die Organisatorin Betty Dan, könnten zwar auch in Israel nicht immer sicher leben, aber dort seien sie immerhin keine Bürger zweiter Klasse. Noch fühlten sie sich in Belgien sehr gut beschützt, es sei aber fraglich, wie lange dieser Zustand aufrechterhalten werden könne. Ein Hauptproblem der belgischen Juden sei, so muß auch der Vizevorsitzende des Holocaust-Museums in Mechelen, Claude Marinower, feststellen, „ihr jüdisches Aussehen“ mit schwarzem Hut, dunklem Mantel, Bart und Schläfchenlocken.

Das gilt zwar weniger für die etwa 20.000 in Brüssel lebenden Juden, dafür um so mehr für die Antwerpener jüdisch-orthodoxe Gemeinschaft, die damit auch die größte in Europa ist. Mehr als 9.000 Juden sprechen hier tatsächlich noch „Jiddisch“, sie werden strenggläubig erzogen und besuchen eine der elf jüdischen Schulen der Stadt. Fünf jüdische Zeitungen gibt es, dazu 45 Synagogen. 

Einst dominierten die Juden den Antwerpener Diamantenhandel, was ihnen Ansehen und Einkommen bescherte, doch ist dieser heute fest in indischer Hand. Die Arbeitslosigkeit unter den chassidischen Männern wächst, ein Universitätsstudium lehnen sie ab, statt dessen vertiefen sie sich in das Thora-Studium. Daher sind ihre Frauen oft gezwungen, mit schlecht bezahlten Jobs und mit Hilfe des in Belgien traditionell hohen Kindergelds die Familien durchzubringen. Gepaart mit einem wachsenden Antisemitismus ist das keine schöne Aussicht, um weiterhin in Belgien zu leben. 

Tatsächlich verändert sich das politische Klima in Belgien dramatisch und wird judenfeindlicher – eine Tendenz, die vor allem der wachsenden muslimischen Einwanderung geschuldet ist. Im Frühjahr 2014 kamen beim Anschlag auf das Jüdische Museum in Brüssel vier Menschen ums Leben, nach den Anschlägen von Paris und dem daraufhin verhängten Ausnahmezustand in Brüssel wurden zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Synagogen geschlossen. 

Zwar kündigte der Innenminister des Landes, Jan Jambon (N-VA), an, zum Schutz jüdischer Institutionen im Land vier Millionen Euro ausgeben zu wollen, was Michael Freilich vom Magazin Joods  Actueel (Jüdisch Aktuell) entsprechend würdigt: „In unseren Nachbarländern wird das schon seit Monaten gemacht; es ist beruhigend, daß das jetzt auch bei uns geschieht.“ Doch wie muß sich ein jüdisches Schulkind fühlen, wenn es nur durch eine Panzerglaswand auf den Hof schauen kann, der von Soldaten bewacht wird? „Die ruhigen Jahre sind vorbei“, konstatiert der belgische Judaist Julien Klener. Seine Familie habe den Holocaust erlebt, ihm stelle sich die Frage, womit er den wachsenden Antisemitismus in Belgien „verdient“ habe. 

In Brüssel gibt es nun erste Überlegungen der jüdischen Gemeinden, die Synagogen unauffälliger oder gar unkenntlich zu machen, um sie besser zu schützen.